Sonde oder nicht Sonde, das war einst die Frage...

Wer ein so besonderes Kind hat, dass eine Magensonde irgendwie immer im Raum steht, hat oft eine ganze Reihe von Gefühlen bei dem Gedanken an diesen Schlauch. Die meisten Gefühle sind nicht sonderlich positiv, sondern eher vom mulmigen Typ.

So war es auch bei mir, als unsere Prinzessin zur Welt kam. Wegen ihres Gendefekts brachte sie nur zarte 1.800 Gramm bei der Geburt auf die Waage und Temperatur halten war auch schwierig. Also ab in den Brutkasten auf die Intensivstation und mit einer Nasensonde versorgt.



Anfangs fand ich das noch richtig prima, dass man ihr so ganz einfach helfen kann. Wir haben trotzdem stillen versucht, was mäßig mit Stillhütchen irgendwie ging. Fläschchen als zweite Option war auch im Angebot, aber es sollte ein paar Tage dauern, bis das
wirklich tadellos klappte. Den Moment, in dem mir die Schwester erklärt hat, sie würden mir zeigen, wie man die Sonde korrekt legt, damit wir entlassen werden können und das zu Hause einfach selber machen können, werde ich nie vergessen. Ich bin fast zusammen gebrochen.

Bitterliche Tränen weinend, hab ich mein armes Kind angefleht, sie möge sich doch bitte anstrengen, weil die Mami das nicht kann, mit dem Schlauch durch die Nase fummeln. Sieh da, es geschah ein Wunder, Madame hat mit etwas Nachhilfe begriffen, wie es geht und wir durften ohne Sonde nach drei Wochen Intensivstation nach Hause gehen.

Es lief nicht wirklich super mit der Ernährung, aber es lief gut genug, dass die Prinzessin gut Gewicht zulegen konnte. Dank abgepumpter Muttermilch wuchs die Dame zu einem propperen Mädel heran.


Alles war super, doch dann kam die Epilepsie und mit ihr die Medikamente mit sämtlichen Nebenwirkungen. Jede Medikamentensteigerung machte das Trinken schwer und es wurde zunehmend zum Kampf.

Einige Male hatten die Ärzte schon vorgeschlagen, halt eine PEG-Sonde zu legen, aber ich hab das entrüstet von mir gewiesen. Das wäre persönliches Scheitern. So hatte ich das damals empfunden. Schade eigentlich, aber die Erfahrung muss wohl jeder schmerzlich machen.

An welcher Stelle der Wendepunkt kam und ich mein Hirn benutzt habe, weiß ich nicht mehr. Ich weiß, dass wir mal wieder am Boden liegend getrunken haben, die Maus und ich. Inzwischen waren wir bei "alle zwei Stunden für 20 Minuten". Aus irgend einem Grund hat die Motte nur noch im Liegen und nur noch an bestimmten Stellen im Haus getrunken und ja, sie hat auch nur noch getrunken. Feste Nahrung hat sie völlig verweigert. Und ein kritischer Blick auf mein Kind hat mir gezeigt, so richtig gesund sieht sie nicht mehr aus. Dabei liegen zwischen dem vorherigen Bild und diesem gerade mal acht Wochen...



Irgendwann hab ich dann zugeben müssen, dass es so nicht weiter gehen kann. Die Zeitfenster, in denen ich das Haus verlassen konnte, wurden schmal und mir war klar, das macht so außer mir niemand mit. SO kann sie niemals in den Kindergarten. Das kann ich niemandem zumuten, so viel Personal hat auch keine Einrichtung und meiner Maus tu ich auch keinen Gefallen, denn was wir da veranstalten, nervt massiv.

Ich hab dem Neurologen eine Mail geschickt "es ist soweit, ich gebe auf und gebe mich geschlagen. Wir müssen eine Sonde legen" und zwei Stunden später rief die Gastroenterologin an um einen Termin zu vereinbaren. Denen war klar, wenn es nicht schnell geht, mach ich einen Rückzieher.

Wahrscheinlich werde ich immer mit diesem blöden Schlauch, der seitdem den perfekten Babybauch meines Goldstücks verunstaltet, auf Kriegsfuß stehen. Aber ich liebe ihn, den Schlauch! Er hat uns viele Krankenhausaufenthalte erspart, viel Stress, viel Frust und hat uns allen Lebensqualität beschert. Wir müssen nie wieder bangen, dass wir bei großer Hitze oder bei Fieber genug Flüssigkeit ins Kind kriegen, wir müssen nicht bangen, dass die Maus in ungewohnter Umgebung die Nahrung verweigert, wenn wir mal einen Ausflug machen und sie muss nie wieder das Gefühl haben, dass sie irgendetwas nicht kann und nicht gut genug für etwas ist. Sie muss nicht hungern und keinen Durst leiden, aber sie muss sich auch nicht mehr quälen.

Wir hätten uns viele Tränen und viele Enttäuschungen erspart, wenn ich früher zu dieser Einsicht gelangt wäre. Aber besser spät als nie. Warum ich das als persönliches Scheitern empfunden habe, kann ich heute nur noch ansatzweise nachvollziehen. Es geht nämlich gar nicht um mich, um meine Befindlichkeiten und um meinen Ehrgeiz. Es geht um unser Kind und die Lebensqualität unserer Tochter. Die hat sich durch die Sonde verbessert. Ganz eindeutig. Würde ich wieder so entscheiden? Unbedingt, aber wenn ich könnte, dann würde ich die Entscheidung früher treffen 😎

Heute, da können wir wieder lachen - jedenfalls ganz oft, wenn es uns gut geht und für den Schlauch im Bauch, da sind wir dankbar.


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