Bolus versus Pumpe

Ende August 2012 hat unsere Tochter ihre PEG-Sonde bekommen. Ganz problemlos war der Eingriff nicht, das war aber einer Runde Pech geschuldet und nicht der PEG-Anlage an sich. Die war völlig unkompliziert.

Es hat ein wenig gedauert, bis ich mich daran gewöhnt hatte, nun per Spritze den Bauch meines Mädels zu füllen und nicht mehr indem ich sie sanft im Arm wiege und ihr liebevoll das Fläschchen reiche. Na gut, das war jetzt ohnehin ein wenig euphemistisch. Die Wahrheit sah ja leider anders aus. Ich hab völlig verzweifelt alle zwei Stunden für etwa 20 Minuten versucht, ihr irgendwie etwas einzutrichtern, was flüssig war. Feste Nahrung hatte sie schon komplett verweigert. So schwer es mir fällt das zuzugeben - die Sonde ist ein Segen.

Nun hatte ich mich im Vorfeld ein wenig kundig gemacht, wie das nun wird mit dem Sondieren und habe festgestellt, dass wir wohl ein weiteres, medizinisches Gerät mit viel Zubehör zu Hause haben werden, nämlich eine Ernährungspumpe. Doch weit gefehlt. Bolusgaben haben die Ärzte vorgeschlagen, mit Spritzen.


Zunächst fand ich das total blöd, denn es war beschwerlich, die Nahrung mit der Spritze aufzuziehen und dann langsam die Nahrung einzugeben. Es hat gedauert, bis wir die richtigen Spritzen gefunden hatten, mit denen ich gut zurecht kam, ohne
Schmerzen in den Fingern oder im Arm zu bekommen. Und als die Technik des Sondierens kein Problem mehr war, war ich auch plötzlich versöhnt damit, keine Pumpe bekommen zu haben.

Fast forward: Heute bin ich glühende Verfechterin von Bolusgaben mittels Spritzen. Zum einen würde uns die Pumpe bei der Pürierdiät ohnehin die meiste Zeit streiken. Es gibt eine Möglichkeit, bei einem Pumpenmodell die Tüten zu modifizieren, so dass sie ohne Fehler läuft. Man kann mit ein wenig Modifizierung auch per Schwerkraft sondieren, wenn es etwas dicker ist. Aber das ist nicht der Hauptgrund, warum ich so für Spritzen bin.

Bolusgaben mit Spritzen sind dem natürlichen Essverhalten am ähnlichsten. Wenn wir essen, dann nehmen wir einen Bissen in den Mund, kauen gründlich und schlucken. Dann machen die meisten Menschen eine kleine Pause und der Vorgang wiederholt sich, bis der Teller, die Schüssel oder was auch immer man befüllt hat, leer ist.

Genau so ist es, wenn wir trinken. Wir nehmen einen Schluck in den Mund, schlucken ab und warten kurz bis zum nächsten Schluck. Kein Mensch käme auf die Idee, den Mund aufzusperren und ein Getränk einfach hineinlaufen zu lassen und im Dauerbetrieb den Schluckmechanismus zu bemühen. Warum sollte das also einem Menschen zugemutet werden, der mittels Sonde ernährt wird?

Ein wenig Nahrung oder Flüssigkeit eingeben, kurz warten und weiter machen, ist eindeutig physiologischer als Dauerbetankung. Kommt eine Hustenatacke oder der Schluckauf dazwischen, kann man auch viel einfacher pausieren, warten bis wieder Ruhe einkehrt und weiter machen, ohne ein Gerät wieder neu starten zu müssen. Eine Pumpe erkennt nicht automatisch, wenn das Gegenüber einen epileptischen Anfall während des Essens hat und kann daher auch nicht von sich aus stoppen. Ich kann das.

So sondieren wir per Hand und mit Hilfe von Spritzen, am liebsten, wenn wir selber essen, weil das gelebte Inklusion ist. Das Equipment ist auch leicht transportabel, ich muss keinen Akku laden und nicht überlegen, wo ich den Firlefanz hinhänge, ich pack die Spritze aus und los geht es. Küchentücher zum Abwischen nicht vergessen, eventuell auch einen Löffel zum Umrühren und warmen Tee zum Verdünnen. So kann man überall und jederzeit sondieren.

Bei uns eindeutig Bolus, Pumpe brauchen wir nicht.

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