Der große Diagnostik-Termin

Wie auf Facebook, Instagram und im Newsletter angekündigt, fasse ich mal unsere Ergebnisse zusammen, die wir nach dem großen Diagnostik-Termin in der Kinderklinik bislang haben.

(Bildnachweis: Pixabay, Nutzer Bild von ar130405)

Sinn macht es, die Ausgangslage nochmal zu schildern, damit alle die Fragestellungen verstehen, mit denen wir bzw. das Ärzteteam uns auseinandergesetzt haben.
Wir hatten mehr epileptische Anfälle beobachtet, mehr Myoklonien (darunter versteht man eine blitzartige Anspannung eines Muskels oder einer Muskelgruppe, die zu einem Zucken oder Zuckungen führt), eine belastende Pflegesituation (langes Gebrüll), wieder auftretende Dystonien (unter Dystonien versteht man neurologische Bewegungsstörungen, die sich vor allem in Verdrehbewegungen äußern und unwillkürliche Muskelkontraktionen, also Anspannen von Muskulatur zur Folge haben), belastende Situation vor allem während der Nachtinhalation (sie hat die Maske nicht mehr toleriert, hat gebrüllt und um sich geschlagen), sehr viel Sekret, das teilweise sehr zäh wird, teilweise so flüssig ist, dass es nicht mehr abgeschluckt wird. Ins Boot geholt werden sollte außerdem ein Gastroenterologe wegen auffälliger Blutwerte.

Fangen wir mit den Dystonien und der Pflegesituation an:
Wir hatten so eine Situation schon vor einigen Jahren, konnten die durch Ergotherapie entschärfen bis beheben. Ich habe also unsere Ergotherapeutin wieder kontaktiert und um Hilfe gebeten. Gelernt habe ich, dass bei Entwicklungsschüben passieren kann, dass das Gehirn nicht rasch genug mitwächst. Dass Muster, die durchbrochen waren, wieder auftreten und man schlicht von vorne anfangen muss, an den Problemen zu arbeiten. So auch hier. Unsere Prinzessin hat eine Reihe nicht integrierter, frühkindlicher Reflexe, die wir durch konsequente Übung integrieren können. Nach wenigen Wochen konnten wir so die Dystonien fast vollständig beheben. Bei der Pflege ist es uns wieder gelungen, wenn wir Zeit und Ruhe haben, Waschen, Pflegen, An- und Ausziehen ohne Gebrüll zu erleben. Das klappt nicht immer gut, aber in der Regel kann unsere Maus die Pflege wieder tolerieren ohne Schreien zu müssen und ohne, dass ihr etwas unangenehm ist. Sie ist sogar recht kooperativ, was An- und Auskleiden angeht und ist inzwischen in der Lage auch kleinen Aufforderungen nachzukommen (streck bitte Deinen Arm beispielsweise).

Der nächste Punkt war die belastende Situation bei der Inhalation. Auch hier haben wir eine gute Lösung finden können, die auch gleichzeitig ein weiteres Problem beheben könnte, nämlich hohen CO2-Gehalt im Blut.
Unsere Tochter braucht seit einigen Jahren nachts bzw. im Infekt auch tagsüber Sauerstoff. Wir haben den Pulsoxy, also das Gerät, das Sauerstoffgehalt und Herzfrequenz misst, so geregelt, dass er bei einem Sauerstoffgehalt von 100% alarmiert, damit wir sie nicht übertherapieren. Durch die regelmäßige Sauerstoffzufuhr, ist der CO2-Gehalt im Blut allerdings zu hoch. Bislang ist der PH-Wert jedoch im Rahmen, so dass eigentlich noch nichts zu veranlassen ist. Es steht jedoch zu befürchten, dass irgendwann eine CPAP oder BiPAP Versorgung ansteht, um das CO2 aus dem Körper zu bringen. Wir müssen daher einmal im Jahr zur Überprüfung ins Schlaflabor.
Beim letzten Termin entstand die Idee, dass unsere Tochter ein Highflow Gerät für zu Hause bekommt. Das könnte unterstützen, dass das CO2 aus dem Körper befördert wird und gleichzeitig könnte man darüber mit einem Ultraschallvernebler inhalieren. Wir haben das Gerät inzwischen und die Nachtinhalation ist inzwischen ein Traum! Bislang hatten wir mit dem lauten Pari Boy inhaliert und mussten ihr natürlich die Maske aufs Gesicht drücken. Das Mundstück würde bei ihr ja nicht funktionieren. Ich verstehe gut, dass sie nach einigen Jahren dieser Praxis keine Lust mehr drauf hatte, das mitten in der Nacht durchzuziehen. Sie hat vor allem bei mir die gesamte Zeit durchgebrüllt, hat sich gewunden, um sich geschlagen und war so außer sich, dass ich den Nutzen der Inhalation in Frage stellen musste. Dass ich mir das nicht einbilde, hat sie freundlicherweise während der Schlaflabor-Kontrolle gezeigt und ich glaube, dass Pflegekräfte und Ärzte immer wieder verblüfft sind, WIE sehr sie sich aufregen kann. Der Ultraschallvernebler kann nun ganz simpel zwischen Nasenbrille und Schlauch gesteckt werden, das merkt sie meist gar nicht. Die Inhalation geht auch wesentlich schneller, fast in der Hälfte der Zeit. Somit hat nicht nur sie massiv an Lebensqualität gewonnen, sondern auch ich, weil ich statt über einer Stunde nun nach längstens 20 Minuten wieder im Bett bin.

Dieser Highflow, die Inhalation und der Cough Assist wurden bei unserem großen Termin überprüft und für weiterhin so praktikabel befunden. Der Cough Assist ist sehr hoch eingestellt, damit aber sehr effizient und unsere Motte toleriert die Einstellungen meist grad noch so. Also können wir so weiter machen. Auch in Infektzeiten hat der Highflow schon gute Dienste geleistet. Bisher war es so, dass wir genau wegen einer Highflow-Therapie im Krankenhaus von der normalen Station auf die ITS (die Intensivstation) ziehen mussten, da nur in der ITS ein solches Gerät bereit steht. Nun sind wir zu Hause damit versorgt und können Krankenhausaufenthalte damit bislang vermeiden, auch wenn wir schon richtige Krisen meistern mussten (Covid-19 im September und eine beginnenden Lungenentzündung im November).

Weiter geht es mit den epileptischen Anfällen. Tatsächlich hatten wir bei einer Blutentnahme gesehen, dass der Spiegel der Valproinsäure im Blut zu hoch, schon fast im toxischen Bereich liegt. Wir haben die Valproinsäure nicht erhöht, aber das Cannabidiol. Es scheint einen Zusammenhang zu geben, der in Deutschland noch nicht diskutiert wird. Wir haben durch die Erhöhung des CBD-Öls (Cannabidiol) offenbar den Valproin-Spiegel mit erhöht. Also haben wir die Valproinsäure gesenkt und tatsächlich hatten wir weniger Anfälle. 
Aktuell ist die Anfallssituation an manchen Tagen wieder unerfreulicher, das ist allerdings durchaus durch die beginnenden Pubertät zu begründen. Dadurch kommt es im Gehirn zu Fehlschaltungen, die durchaus Anfälle begünstigen können. Wir warten also ab, weil kein Hinweis auf Veränderung im EEG besteht.

An den Myoklonien sind wir noch dran. Immerhin wissen wir inzwischen, dass bei diesen Bewegungen, das EEG keine elektrischen Entladungen gezeigt hat. Das bedeutet, diese Myoklonien sind anders getriggert. Unsere Tochter hat eigentlich immer ein hochgradig pathologisches EEG, dadurch dass das EEG im Schlaflabor jedoch immer mit Videoaufzeichnungen begleitet wird, ist die Zuordnung erleichtert. Wie und ob wir Abhilfe schaffen können, wissen wir noch nicht. Da sind Neurologe und Palliativteam aber aktuell sehr intensiv am Überlegen. Wir werden auf jeden Fall im Sitzen wieder eine Gewichtsdecke ausprobieren. Vielleicht hilft das den Muskeln, zur Ruhe zu finden. Nachts haben wir seit einigen Jahren eine Gewichtsdecke über den Beinen und den Eindruck, dass die Hummel dadurch leichter zur Ruhe kommen kann.

Kommen wir zu den Blutwerten. Unsere Tochter hat schon gefühlt immer einen niedrigen Hb-Wert bei gut gefüllten Eisenspeichern. Bislang wurde das so hingenommen, aber im Zuge der Ursachenforschung bei sämtlichen Baustellen, sollte auch darauf ein Augenmerk gelegt werden. Auf den ersten Blick könnte die Kombination aus niedrigem Hb und hohem Eisenspeicher auf eine Vitaminmangel-Anämie hindeuten, jedoch ist das Vitamin B12 und die Folsäure im Normbereich. Das wurde durch eine erneute Blutentnahme bestätigt. Der Gastroenterologe hat weitere Blutwerte bestimmen lassen, um absolut sicher zu gehen, dass wir nichts übersehen. Die Schilddrüsenwerte sind in Ordnung. Es gibt keinen Hinweis auf eine Glutenunverträglichkeit oder Zöliakie, all das könnte entgleiste Eisenwerte bedingen. Eine weitere Überlegung ist, ob sie möglicherweise innere Blutungen haben könnte und durch diesen Blutverlust Eisenmangel haben könnte. Im Ultraschall gab es keinen Hinweis auf irgendetwas, was unnormal gelten könnte, keine Verstopfung, keine Auffälligkeiten. Um ganz sicher zu gehen, wurde uns eine Stuhlprobe empfohlen, die auch verstecktes Blut im Stuhl aufdecken könnte. Tatsächlich war der Calprotectin-Wert leicht erhöht, was auf eine Entzündung im Darmtrakt hindeuten könnte. Wir sollen nun die Stuhlprobe in zwei bis vier Wochen wiederholen und entscheiden dann, ob weitere Untersuchungen notwendig sind. Der Gastroenterologe wird die Werte in der Gesamtschau beurteilen. Zwischenzeitlich werde ich versuchen, mit fermentierten Lebensmitteln den Darm ein wenig zu unterstützen.

Tatsächlich war seit der letzten Blutentnahme der Hb-Wert wieder etwas gestiegen. Geändert hatten wir seitdem ein wenig die Medikamentengabe, da unsere neue Apotheke uns eine kostenfreie, pharmakologische Analyse angeboten hatte. Der Fokus lag darauf zu sehen, ob wir einzelne Medikamente zu anderen Tageszeiten oder in anderer Kombination geben sollten und daraufhin hatten wir die Eisengabe in der Früh verworfen und geben seitdem abends wieder konsequenter Zuckerrohrmelasse, auch um die Verdauung zu unterstützen.

Der letzte Punkt auf unserer Agenda ist das Sekret, das manchmal einfach flüssig ist, manchmal schaumig, weißlich und manchmal zäh und gelblich oder gar grünlich auftritt, gerne in allen Varianten im Laufe eines Tages. Dieser verstärkte Speichelfluss (auch Hypersalivation genannt) kann bedingt sein durch die jahrelange Zahnung, durch die Dysphagie (die Schluckstörung bzw. Unfähigkeit zu Schlucken) oder einfach durch die Grunderkrankung. Es gibt Medikamente, die den Speichelfluss austrocknen können, Sialanar ist beispielsweise eines dieser Mittel. Das Medikament wirkt allerdings systemisch, das heißt es trocknet insgesamt einfach aus. Man muss es langsam eindosieren, auch wieder langsam ausdosieren, im Ergebnis ist es wie ein Pflaster, das man hinters Ohr kleben kann, es kann auch auf Harnweg und Lunge wirken. Da das zwei sehr sensible Bereiche unserer Tochter sind, verzichten wir bislang alle darauf, ein solches Mittel einzusetzen. Die Gefahr einer Lungenentzündung und / oder eines Harnwegsinfekts ist relativ hoch und beides hatten wir schon zu häufig und zu heftig, als dass wir das riskieren möchten.
Unsere Alternative ist aktuell ein off-label use von Atropin Augentropfen, also eine nicht ursprünglich vorgesehene Nutzung. Das Atropin wirkt im Gegensatz zum systemisch wirkenden Sialanar nur lokal. Das bedeutet, ein bis zwei Tropfen des Atropins unter der Zunge können eine örtliche Austrocknung bewirken, somit verringert sich die Sekretbildung im Mundraum und die damit verbundene Belastung sinkt ebenfalls. Akutell nutzen wir es ein bis zwei Mal täglich, der Erfolg ist jedoch leider noch nicht zufriedenstellend. In den USA ist die Therapie von Sekret mit Atropin seit einigen Jahren verbreitet, in Deutschland beginnen wir erst damit, daher fehlen noch Erfahrungswerte.

Wir werden einen Termin bei einer vom Palliativteam empfohlenen Fachärztin für Dysphagien, also Schluckstörungen, vereinbaren. Möglicherweise gibt es noch weitere Ideen zur Therapie, um den Sekretfluss einzudämmen. Möglicherweise werden Myoklonien auch dadurch getriggert. Das wissen wir aber erst, wenn wir erfolgreich therapieren können.

Wer Fragen zu einzelnen Untersuchungen oder Ergebnissen hat, möge mich bitte gerne jederzeit kontaktieren. Wir müssen niemals alle das Rad neu erfinden, es macht viel mehr Sinn, gerade bei medizinisch sehr komplexen Kindern, auf Erfahrungen anderer Eltern zurück zu greifen und von Überlegungen und Beobachtungen zu profitieren, die andere schon gemacht haben. Ich erläutere sehr gerne einzelne Überlegungen, Ergebnisse oder Therapieansätze. Ihr wisst, wie Ihr mich findet.


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