Das Hasenzähnchen

Unsere Sondenprinzessin hat eine ganze Reihe von Kosenamen: Hummel (weil die Hummel rein technisch nicht fliegen kann, das aber nicht weiß und trotzdem fliegt), Eule (weil sie mit ihrem Sehfehler in zwei Richtungen gleichzeitig schauen kann), Mausi (warum auch immer), Schnecki (weil sie so eine kleine Schleimschnecke ist) und Hasi oder auch Hasenzähnchen. Und schon bin ich beim Thema: Die Zähne. 

Die Zähne unserer Hummel sind ohne Frage sehr präsent. Da ihr Mund meist offen steht, sind sie auch deutlich sichtbar. Sie sind groß, zum Teil sehr groß, schief und der Kiefer steht versetzt. Warum ist das so?


Das arme Kind ist zudem grad in der Pubertät, da machen sich die ersten Pickel breit. Schön ist das nicht, aber wie meine Großeltern zu sagen pflegten: Einen schönen Menschen kann nichts entstellen und ich stimme ihnen da total zu.
Unsere Maus hatte gefühlt schon immer Probleme mit den Zähnen. Mit gerade einmal vier Monaten zeigten sich weiße Stellen auf dem Kiefer. Das waren aber nicht die ersten Anzeichen von Zähnen, sondern Zahnknospen, die wieder verschwanden.
Erst im Alter von 14 Monaten brach der erste Zahn wirklich durch. Mich hat natürlich interessiert woran das liegt und so habe ich recherchiert und jeden gefragt, der eine Ahnung davon haben könnte und das Ergebnis ist nicht nur aufschlussreich sondern auch vollkommen plausibel.

Zahnen schmerzt und juckt. Üblicherweise erkennt man die Zahnungszeit daran, dass die Kinder gerne auf allem möglichen herumbeißen: Hände, Brot, harte Kekse, harte Gemüsesticks, Spielsachen, Zahnungshilfen - was auch immer dem Mund nahe kommt. Auf diese Weise wird das Zahnfleisch massiert, gut durchblutet und die Milchzähne werden quasi durchgebissen.

Sondenkinder können das in der Regel nicht. Wenn ein Kind so früh eine Magensonde bekommt, liegt das in der Regel an einer mehr oder weniger stark ausgeprägten Schluckstörung. Das heißt die Kinder können oder möchten nichts in den Mund nehmen und tolerieren auch schlecht bis gar nicht, wenn man ihnen etwas immer und immer wieder anbietet. Kinder mit Behinderung haben häufig genetisch bedingt ein etwas dickeres Zahnfleisch als normal entwickelte Kinder. Bei Kindern mit Miller-Dieker-Syndrom, wie unserer Tochter, ist das der Fall. Durch ein dickes Zahnfleisch braucht ein Zahn aber sehr viel länger, bis er durchbrechen kann, als wenn das Zahnfleisch normal entwickelt ist. Erschwerend kommt hinzu, dass die Zähne aufgrund oraler Aversionen eben nicht durchgebissen werden.

Oft sind auch Medikamente dafür verantwortlich, dass  das Zahnfleisch etwas dicker wird. Die Valproinsäure ist beispielsweise dafür bekannt und ratet mal, was unsere Hummel bekommt, seitdem sie ein gutes, halbes Jahr alt ist: Richtig, unter anderem Valproinsäure.

Fassen wir bis dahin zusammen: Bedingt durch ihren Gendefekt und bedingt durch Nebenwirkungen der Valproinsäure, ist das Zahnfleisch dicker als gewöhnlich. Durch orale Aversionen bedingt und ihre Schluckstörung, findet kein "Durchbeißen" der Zähne statt, statt dessen müssen die Zähne von sich aus schieben, bis sie durchbrechen. Je nachdem wie gut durchblutet manche Stellen sind, dauert das länger oder geht schneller.

Unsere Tochter hatte wie bereits erwähnt, mit 14 Monaten den ersten Zahn, danach ging es fast Schlag auf Schlag, auch schon mal drei Zähne gleichzeitig. Jedes Zahnen war verbunden mit offensichtlichen Schmerzen, mit Fieberschüben und zunehmend mehr Sekret. Endlich waren alle Milchzähne durchgebrochen, nach wie vor fehlen allerdings die sechs Jahres Molaren.

Man darf jetzt nicht glauben, dass die Zähne nach üblichem Schema durchbrechen - nein, das wäre wohl zu langweilig. Nein, die kommen kreuz und quer und so gehen sie auch - wenn überhaupt. Denn auch beim Zahnwechsel vom Milchgebiss auf die bleibenden Zähne, folgt bei Kindern mit Beeinträchtigung häufig kein normaler Ablauf.

Bei unserer Hummel sind jeweils die bleibenden Zähne schon durchgebrochen, während die "alten" Zähne noch stabil an ihrem Platz waren und sind. Das hat zur Folge, dass sie zeitweise zwei Reihen von Zähnen hintereinander hatte. Da wir nicht nur regelmäßig Zähne putzen, sondern auch unsere Zahnärztin konsultieren, war sie natürlich mit ihrem außergewöhnlichem Gebiss, unter Beobachtung. Uns wurde erklärt, dass eine zweite Zahnreihe durchaus häufiger vorkommt, als gedacht und dass es völlig unerheblich ist, ob die Zähne so stehen wie sie stehen, solange unsere Maus keine Schmerzen hat. Das scheint aktuell recht selten der Fall zu sein.

Nun haben aber die bleibenden Zähne auch wieder das Problem, dass sie ja nicht durchgebissen werden mangels kauen. Also müssen sie sich einen Weg durch das dicke Zahnfleisch suchen und weil die Milchzähne noch im Weg sind, schießen sie halt krumm aus dem Kiefer. Das sieht nicht perfekt schön aus, aber wirklich stören tut es auch nicht. 

Wir haben nicht nur unsere Zahnärztin, sondern auch einen Kieferorthopäden und die Zahnklinik aufgesucht und überall hat man uns versichert, dass alles noch im normalen Rahmen wäre. Aktuell hat sie noch einen Zahn zu viel, das ist dieser vordere, kleine, schon etwas braune Schneidezahn, ich nenne ihn auch Zyklopenzahn. Mal wackelt er, mal ist er wieder bombenfest, ein sehr kurioses Schauspiel.

Obwohl wir die Zähne regelmäßig putzen, zur Zeit wieder manuell, weil elektrisch irgendwann nicht mehr toleriert wurde, wird dieser eine Zahn langsam bräunlich. Das liegt vermutlich daran, dass er nur noch an einem Faden hängt. Es haben schon einige Menschen versucht, den Zahn einfach zu ziehen, aber das olle Ding mag einfach nicht raus..

Und nun? Lassen wir die Zähne korrigieren? Reißen wir den Zahn aus? Gibt es eine Zahnspange oder eine Schiene, damit wenigstens das Zähneknirschen aufhört?

Nein, nichts von alledem. Der Grund liegt auf der Hand: Unsere Tochter hat eine therapieresistente Epilepsie. Niemand möchte freiwillig die Verantwortung für eine Narkose übernehmen, die nicht absolut zwingend notwendig ist. Also lässt man den Dingen ihren Lauf. 
Ist es schlimm ,dass die Zähne krumm sind? Nein, funktionell hat das keinen Einfluss auf irgendetwas. Im Laufe der Zeit korrigiert sich das Schlimmste ein wenig von selbst. Der Kiefer wächst, dadurch wird mehr Platz geschaffen und die Zähne können sich besser verteilen. Aber man wird weder eine Zahnspange noch eine Schiene anfertigen, dafür ist der Nutzen einfach nicht groß genug. Optik allein ist unerheblich und die Gefahr, dass sie irgendetwas verschlucken könnte, was möglicherweise nicht fest angebracht wird, ist immens hoch.

Erschwerend kommt hinzu, dass unsere Hummel fürchterlich mit den Zähnen knirscht, wann immer sie den Eindruck hat, zu kurz zu kommen oder wenn sie Spannung abbauen muss. Das strapaziert die Zähne und durch den massiven Druck, den sie dadurch auf den Kiefer ausübt, haben die Zähne außerdem die Tendenz, etwas krumm zu werden. Abgesehen davon ist der Zahnschmelz sehr strapaziert und einzelne Zähne sind unwahrscheinlich tief abgeschliffen.

Also ja, es liegt zum einen an genetischen Defekten, an der Tatsache, dass der Kiefer nicht zum Kauen gebraucht wird und an Nebenwirkungen von Medikamenten, dass das Zahnfleisch so dick ist, dass der Durchbruch erschwert ist. Und nein, das wird nicht korrigiert, weil es ein lediglich optisches und kein funktionelles Problem darstellt.

Was kann man dagegen tun? - Nichts, absolut gar nichts, außer weiterhin schön die Beißerchen putzen und pflegen. Für jemanden wie mich, die ich sehr gerade Zähne habe, ist es schon ein optisches NoGo, dass ausgerechnet meine Tochter so schiefe Zähne hat, aber immerhin hat sie welche und wie die aussehen, ist ja eigentlich pupe. Interessant ist, dass die meisten Kinder mit Miller-Dieker-Syndrom sehr große Schneidezähne haben und durch die Retrognathie, also die Fehlstellung des Kiefers, fällt diese Diskrepanz zwischen Schneidezähnen und dem Rest umso mehr auf. Aber wenn Ihr mal ganz ehrlich seid: Niedlich ist sie schon, unser Hasenzähnchen, oder bin ich da jetzt nicht objektiv genug?

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