Die Kunst der halben Sachen

Haben Sie einen Garten? Sind sie schon mal auf die Idee gekommen, nur zwei Pflanzen auszuschneiden und dann aufzuhören? Würden Sie einen Efeu-Beschnitt so beenden?:


Wahrscheinlich nicht. Ich mach sowas. Regelmäßig und aus den verschiedensten Gründen. Der Efeu musste so halbherzig gepflegt ausharren, weil unsere Tochter kränkelt. Ihr Husten zwang mich ins Haus und das war es dann mit der Gartenarbeit.

Regelmäßig putze ich im Bad nur Waschbecken und Toilette oder ich wische eine Schublade des Küchenschranks aus, obwohl es die ganze Küchenzeile dringend nötig hätte. Es wird nur in einem Stockwerk gesaugt, nur die obersten fünf Rechnungen schaffen es in die Ablage und irgendwo findet sich an Weihnachten sicher noch Osterdeko. Katharinas Ernährung wollte ich längst ein wenig umstellen und optimieren. Perfekt vorbereitet ist das Konzept. Ich habe in Cronometer die perfekte App gefunden, die mir beim Erfassen hilft, ich habe alle notwendigen Unterlagen, die ich brauche, aber ich bräuchte mal wirklich viel Muße um ein ausgeklügeltes Konzept daraus zu machen. Einstweilen ruht das Projekt halb angefangen.

Vor ein paar Jahren wäre ich nicht mal auf so eine Idee gekommen. Entweder ordentlich oder gar nicht und wenn dann so richtig. DAS ist eigentlich meine Devise. Aber mit einem Kind wie dem unseren und vielen Menschen, die zu uns nach Hause kommen um die Prinzessin zu therapieren, um sie zu pflegen oder uns zu helfen und mit zig Terminen, die anstehen und der Tatsache, dass beide Elternteile auch noch berufstätig sind, ist schlicht und ergreifend die liebe Zeit ein echtes Problem. Wie ich es auch drehe und wende, es will mir nicht gelingen, aus einem 24-Stunden einen 48-Stunden-Tag zu machen. Und so hinke ich ständig dem nach, was ich eigentlich erledigen müsste oder gar möchte.

Dann kommen wieder Anträge, Einsprüche, noch mehr Termine und schwupp hat Fenster putzen, Gardinen waschen und bügeln in dieser Woche wieder keinen Platz gefunden. Irgendwann ist mir aufgefallen, dass ich für ein Fenster oder drei Wäscheteile schon Zeit hätte, aber halt nicht für alle Fenster im Zimmer und den kompletten Korb mit Bügelwäsche. Also habe ich irgendwann angefangen, halt immer mal ein bisschen was zu machen. Heute mal in einem Zimmer Staub gewischt, morgen die Badewanne geputzt und dann kam mal eine Schublade dran, somit war die Idee geboren, immer mal zehn bis zwanzig Minuten zu nutzen und irgendwas halbherzig zu tun. Damit hab ich längst nicht alles erledigt, was ich müsste und möchte, aber immer noch besser als nix. Haushaltskosmetik habe ich das getauft. Oberflächlich sieht es für Fremde ordentlich genug aus um nicht als Schlappsau dazustehen, aber mit Putzen und Ordnung in meinem ursprünglichen Sinn hat das nichts zu tun.

Bin ich zufrieden und glücklich mit diesem Konzept? Nein, ganz und gar nicht! Jemandem wie mir, der im Zweifel eher den Hang zur Perfektion hat, bereitet es geradezu körperliche Schmerzen, solche halben Sachen überhaupt in Erwägung zu ziehen geschweige denn durchziehen zu müssen aus der Zeitnot heraus. Ich hoffe, irgendwann mit diesem Zustand meinen Frieden schließen zu können, aber ich habe das Gefühl, bis dahin ist ein langer Weg. Gut, auch die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt und so gebe ich die Hoffnung nicht auf.

Für meinen Efeu hatte ich übrigens heute noch ein paar Minuten Zeit. Jetzt muss ich nur eine Möglichkeit finden, die Kletterrückstände zu entfernen, dann sieht das fast chic aus.


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