Wie läuft das eigentlich in der Praxis bei Euch mit dem Pflegedienst ab?

Viele Familien kennen das - man ringt lange mit sich, ob man wirklich einen Pflegedienst "braucht", um das eigene Kind zu versorgen. Ist man einen Schritt weiter und konnte akzeptieren, dass die Notwendigkeit nicht mehr diskutabel ist, fängt die nächste Phase an, die richtig hart wird. Anträge bei der Kasse, die den Pflegedienst bewilligen muss und dann kommt der wirklich harte Part: Einen Pflegedienst finden, der wenigstens Teile der genehmigten Pflegestunden abdecken kann.


Nach der ersten Erleichterung, wenn tatsächlich ein paar Pflegekräfte gefunden werden konnten, die mit der Versorgung starten können, kommt die große Unsicherheit: Was heißt das jetzt eigentlich für unseren Alltag, für unser Leben zu Hause, wenn über Stunden eine fremde Person in unserem Haushalt ist, die sich um unser Kind kümmert? Kann ich nachts überhaupt schlafen? Muss oder soll ich immer mal ins Zimmer schauen oder wie läuft das denn eigentlich?

Solche Fragen sind schon einige Male an mich herangetragen worden, weil bekannt ist, dass wir schon seit Jahren von einem Pflegedienst unterstützt werden und unsere Erfahrungen teile ich natürlich gerne. Und weil diese Fragen ja immer wieder auftauchen, habe ich beschlossen, aufzuschreiben, wie es bei uns anfangs lief und wie wir das inzwischen handhaben. Das soll auf keinen Fall bedeuten, dass das der Weisheit letzter Schluss ist. Aber es darf als Anregung gesehen werden, darüber nachzudenken, was von dem, wie wir Dinge handhaben, für die eigene Familie sinnvoll ist und entsprechend adaptiert werden könnte und was davon so gar nicht passt und allenfalls als abschreckendes Beispiel dient. Genau so möchte ich das verstanden haben.
Sollte nebenbei bemerkt eine Pflegekraft mitlesen, die als potentielle Hilfe für uns in Frage kommt, weiß sie gleich, was sie bei uns erwartet. Vielleicht haben wir ja sogar mal irgendwann so viel Glück, dass eine männliche Pflegekraft ins Team kommt. Wir hatten da schon mal jemanden und im Tiefsten Inneren wünsche ich mir ja, dass der vielleicht doch wieder bei uns .... egal - lassen wir das Tagträumen, zurück zu den Fakten.

Wir haben im September 2011 mit zwei Mal zwei Stunden begonnen, die natürlich tagsüber stattfanden. Damals hatten wir nur die Verhinderungspflege zur Verfügung und unsere Tochter war noch nicht in einer Einrichtung. Zu der Zeit haben wir unseren Umzug von der Mitwohnung ins Haus geplant und ab November auch durchgezogen. Unnötig zu erzählen, worauf. ich in der Betreuungszeit meine Energie verwendet habe. Im Laufe der Zeit kam immer mehr Pflegeaufwand und -bedarf bei unserer Tochter hinzu und wir haben Behandlungspflege bewilligt bekommen. Aktuell ist es so - jedenfalls in der Theorie - dass wir eigentlich jede Nacht abgedeckt hätten und die Zeiten, in denen unsere Tochter in der Schule ist. Praktisch konnte der Pflegedienst so viele Stunden noch nie abdecken und wir hatten zu guten Zeiten etwa 15 Nächte im Monat abgedeckt.

Was muss bei uns in einer Schicht getan werden? Fangen wir mit der Tagschicht an, die beginnt um 7:15 Uhr vor unserer Haustür. Die Pflegekraft steigt zusammen mit unserer Tochter in den Bus, der zur Schule fährt. Dort unterstützen unsere Pflegekräfte pädagogisch, übernehmen aber auch sämtliche Pflege, die im Laufe eines Tages anfällt (Medikamentengabe, Inkontinenzwechsel, Hilfe beim Toilettengang, Inhalation, Nahrung sondieren, spezielle Krankenbeobachtung wegen der therapieresistenten Epilepsie und Temperaturregulierungsstörung, Anlegen der Orthesen, Begleitung bei Therapien und Durchführung des Stehtrainings) Ab und an darf unsere Tochter zum Intensivschwimmen, da ist natürlich hinterher auch duschen und wieder ankleiden angesagt. Unsere Pflegekräfte begleiten bei Ausflügen und Schulfesten, sofern die unter der Woche stattfinden und haben sehr oft richtig viel Spaß. Auch beim Lernen zu unterstützen kann wirklich lustig und bereichernd sein. Langweilig sind diese Tagdienste nicht. 
Üblicherweise stellt sich eine neue Pflegekraft zunächst bei uns vor, wenn sie für die Einarbeitung vorgesehen sein soll, damit wir uns alle gegenseitig kennenlernen können und damit wir sehen, ob sie und unsere Tochter kompatibel sind. Meist sind die Pflegekräfte dann eine Teilschicht bei uns zu Hause und werden dann in der Schule von einer bereits erfahrenen Kraft eingearbeitet. Inzwischen sind aber Lehrkräfte und Betreuer in der Einrichtung auch erfahren genug, um bei manchen Fragen helfen zu können.

Für den Nachtdienst erfolgt die Einarbeitung immer von uns Eltern. Normalerweise sehen wir zu, dass wir beim ersten Mal einen "frühen" Nachtdienst um halb acht zur Einarbeitung bekommen, da können wir die Abendpflege in vollem Umfang zeigen. Die Pflegekraft läuft in der ersten Schicht erstmal nebenher mit. Die Nacht übernimmt sie bereits alleine, aber immer mit der Option, sofort einen von uns zu holen, wenn irgendetwas passiert, was merkwürdig scheint. In der Früh läuft sie wieder einfach mit und wir zeigen wie die Morgenpflege, Frühstück und Medikamente bei uns ablaufen. Beim nächsten Mal drehen wir den Spieß um, die Pflegekraft übernimmt federführend und wir laufen mit und stehen für jede Frage zur Verfügung und können zur Not auch eingreifen, wenn wir sehen, dass vielleicht etwas schief läuft. Das machen wir so lange, bis die Pflegekraft sich sicher genug fühlt, um ganz allein zu übernehmen. Bei manchen Kräften war das direkt beim zweiten Mal der Fall, andere haben schon mal acht Dienste gebraucht. 
Wenn die Pflegekräfte eingearbeitet sind, beginnen sie entweder um halb zehn (So bis Do) oder um halb acht (Fr und Sa). Bei diesen frühen Diensten kann es durchaus passieren, dass wir die Gelegenheit nutzen und das Haus verlassen. Das passiert aber immer erst dann, wenn die Pflegekraft bereits einige Nächte erfolgreich alleine gemeistert hat und anfangs bleiben wir auch immer im Ort, so dass wir nach längstens zehn Minuten wieder zu Hause sind. Auch da können uns die Pflegekräfte natürlich jederzeit wecken, wenn sie unsere Hilfe brauchen.

Unsere Tochter ist mit einem Monitor überwacht und einem Epicare und wir haben zusätzlich ein Babyphone mit Kamera. Die Pflegekräfte können sich also im Haus bewegen und haben dennoch immer einen Blick auf unsere Tochter, weil sie das Equipment natürlich ausgehändigt bekommen. Unsere Tochter braucht nachts Sauerstoff und ist am Highflow. Sie muss inhalieren, gedreht werden und braucht Flüssigkeit. Wenn es gut läuft, ist auch mindestens ein Inkontinenzwechsel nachts fällig. 

Die Pflegekräfte halten sich üblicherweise im Zimmer unserer Tochter auf. Dort gibt es eine Couch mit einem kleinen Tischchen und Klemmlampe (siehe Bild oben). Es stehen Decken und Kissen für die Pflegekräfte zur Verfügung, alle Bedienungsanleitungen und diverse Pflegehilfsmittel des Pflegedienstes sind in einer Box untergebracht. Schlafen dürfen sie nicht in der Schicht, wir kontrollieren das aber nie. Offen gestanden ist mir lieber, die Pflegekraft macht mal die Augen zu und ist morgens ausgeruht, wenn sie unsere Tochter versorgt. Tief schlafen ist ja ohnehin unmöglich. Ins Zimmer gehe ich nur dann, wenn ich unsere Tochter längere Zeit laut weinen höre. Sie hat sich angewöhnt, in einer ganz bestimmten Frequenz zu "rufen", wenn sie der Ansicht ist, wir sollten helfen. Bei kleinem Gemecker hüpfe ich nicht gleich auf. Sie ist ein großes Mädchen und kann sich schon ein wenig helfen.


Für größere Dokumentationen können sich die Pflegekräfte natürlich  nachts in unserem Wohnzimmer ausbreiten, wir schlafen ja irgendwann. Kaffee, Tee und Wasser muss ich nicht erwähnen, das ist ja selbstverständlich. 
Ja, es ist gewöhnungsbedürftig, wenn über viele Stunden jemand im Haus ist, mit dem man nicht verwandt ist. So etwas wie eine große Intimsphäre gibt man auf. Die Pflegekräfte bekommen natürlich alles hautnah mit und es muss einem klar sein, dass bei einer Krise nachts um halb zwei die meisten Menschen nicht wie aus dem Ei gepellt aussehen. Das muss man aushalten können, wenn einen jemand so sieht. Mir ist die Entlastung wichtiger als der Rest, daher stört es mich nicht sonderlich. Aber mit jeder neuen Pflegekraft muss man sich natürlich wieder auf neue Geräusche in den eigenen vier Wänden einstellen. Das ist einfach so. Und dass jede Kraft ihre eigene Ordnung hat, daran gewöhnt man sich zwangsläufig genau wie an alles andere.

Wenn jetzt eine Pflegekraft das liest und denkt "mit der Anleitung könnte das cool werden, dort zu arbeiten" - ja, könnte es bestimmt. Wir brauchen immer noch Unterstützung, weil sich auf unseren letzten Aufruf leider 0,0 Menschen gemeldet haben, die Interesse haben. Wer nach wie vor Fragen hat, stelle sie einfach.

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