Zu viel oder zu wenig?

Sondenkost aus normaler Nahrung zuzubereiten, bedeutet häufig zunächst Unsicherheit was die richtigen Mengen angeht. Bekommt der Sondenpatient auch genug von allem? Woher weiß ich, wann es zu viel oder zu wenig ist? Bei normaler Sondenkost scheint das auf den ersten Blick weniger problematisch zu sein. Die Bedarfsmenge an Kalorien wird in der Regel vom behandelnden Arzt bestimmt und die entsprechende Menge an Sondenkost verordnet. Aber wie funktioniert das jetzt bei Normalkost? Der Rat, bei dem sicher viele Profis Bauchschmerzen bekommen, lautet schlichtweg: Nach Augenschein.


Wirkt der Patient gut proportioniert, ist wach und agil und hat keine besonderen Probleme mit Verdauung etc.
dann scheint alles zu passen. Den groben Kalorienbedarf sollte man natürlich kennen, aber bevor die Sonde angelegt wurde, hat man den Patienten ja auch irgendwie ernährt und wenn das bis dahin gut ging, sollte man sich tunlichst weiterhin an dieser Menge orientieren. Was die richtige Menge an Makro- und Mikronährstoffen angeht, dazu wird es mal irgendwann einen eigenen Blogpost geben, da ich mich intensiv mit dem Überwachen der Nahrung auseinander gesetzt habe.

Beim Umstieg von traditioneller Sondenkost auf pürierte Normalkost passiert es häufig, dass zunächst eine Gewichtsabnahme erfolgt. Das ist normal und sollte in den ersten Wochen noch nicht verunsichern. Der Körper muss sich erst wieder umstellen. Schon bald wird man merken, dass man das Volumen ein wenig erhöhen kann im Vergleich zu dem, was unter der üblichen Sondenkost vertragen wurde. Mit höherem Volumen kann man auch vorsichtig die Kalorien erhöhen und holt den Gewichtsverlust sehr rasch wieder auf.

Sehr häufig passiert es allerdings, dass zu viel verabreicht wird. Aus Angst vor drohendem oder bereits erfolgtem Gewichtsverlust wird verzweifelt versucht, möglichst viele Kalorien in den Patienten hinein zu pressen. Meist mit der Begründung, die Entwicklung würde sonst leiden und leider häufig mit dem Ergebniss, dass die Patienten sich übergeben müssen. Wenn das häufig oder sogar regelmäßig passiert, wird oft immer noch zu Dauersondieren geraten bzw. zur Anlage einer Dünndarmsonde.

Muss das wirklich sein? Ich sage nein, das muss es in den meisten Fällen nicht. Überlegen wir einfach mal, wie wir selber essen. Wir nehmen etwas von der Gabel oder dem Löffel oder beißen ab, kauen möglichst ausführlich, schlucken hinunter, ratschen vielleicht noch kurz sobald der Mund wieder leer ist und wiederholen das Ganze so lange, bis wir endlich satt sind oder zumindest der Teller leer ist.

Wenn Sondenpatienten mit einer Pumpe ernährt werden, wird zwangsläufig eine bestimmte, gleichmäßige Fließgeschwindigkeit in einer festgelegten Zeit programmiert. Das ist leider nicht ganz physiologisch. Daher bin ich ein großer Fan von Bolusgaben per Spritze. Das kommt unserem natürlichen Essvorgang nunmal am nächsten. Ein wenig Nahrung langsam eingeben, Pause machen, weiter sondieren.

Normalerweise essen wir nicht nachts und wir essen oder trinken auch nicht über zehn, zwölf Stunden kontinuierlich. Wir essen, machen hoffentlich stundenlang Pause, essen wieder, im Idealfall drei Mal am Tag, eventuell noch zwei kleine Zwischenmahlzeiten. Getrunken wird zwischendurch und zu den Mahlzeiten. Nur Sondenpatienten mutet man oft auch die Ernährung fast rund um die Uhr zu. In vielen Fällen scheint es auch notwendig zu sein, weil der Körper vermeintlich die Mengen, die er benötigt, nicht bei sich behält.

Trotz dieser Maßnahmen der Dauersondierung kommt es oft vor, dass Patienten sich regelmäßig übergeben. Wie viel Sinn macht es aber, eine bestimmte Menge an Kalorien in den Patienten zu pressen, wenn dann ein Teil regelmäßig wieder raus kommt? Vielleicht könnte man versuchen, die Menge, die üblicherweise wieder gespuckt wird, gar nicht erst zu sondieren. Die Kalorienbilanz ist ja in etwa gleich. Die Erhöhung würde ich sehr langsam peu a peu versuchen.

Bei der Umstellung von Sondenkost auf Normalkost sind viele Betreuer fast schockiert, wenn sie feststellen, dass das Erbrechen nahezu völlig verschwindet. Das kann daran liegen, dass die Nahrung nicht ganz so viel Sodbrennen verursacht. Maisstärke und Sirup sind auf Dauer vielleicht nicht ganz so bekömmlich wie Kartoffeln und viel Gemüse. Ausprobieren lohnt sich auf jeden Fall.

Ich bin in verschiedenen Gruppen aktiv, die sich nur mit pürierter Normalkost befassen, bezeichnenderweise sitzen die Mitglieder fast ausschließlich im angelsächsischen Bereich. Hauptsächlich sind es Mütter, die ihre besonderen Kinder mit "blended diet" wie es dort heißt, ernähren und Freudentänze aufführen, wenn sie feststellen, dass sie sowohl Volumen als auch Kalorienzahl auf diese Weise ohne Erbrechen erhöhen können.

Viele Kinder haben auch ganz plötzlich angefangen, wieder oral Nahrung zu sich zu nehmen, es gibt sogar Kinder, bei denen eine Sondenentwöhnung stattfinden konnte. Davon können wir tatsächlich nur träumen. Aber dass sich unsere Prinzessin ihre Mahlzeiten regelmäßig so durch den Kopf gehen lassen muss, dass sie oben wieder raus kommt, das passiert zum Glück nur, wenn sie mit vollem Magen fürchterlich husten muss, weil sich mal wieder Schleim quer gelegt hat. Für uns funktioniert es gut und sie sieht nicht grade verhungert aus. Die Gastroenterologin, die in der ersten Zeit viel überwachen wollte, wirft inzwischen in der Regel einen Blick auf unsere Motte mit den Worten "machen Sie einfach so weiter". Das ist einfach - machen wir.

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