Buchrezension "Momo ist das alles viel zu viel" von Anna Mendel und Jasmin Sturm

Jasmin Sturm von Farbflausen folge ich seit geraumer Zeit auf Instagram. Als ich dort gesehen habe, dass sie zusammen mit Anna Mendel ein Buch über ein Kind mit Autismus herausbringen wird, habe ich es aus einem Impuls heraus vorbestellt. Man hat ja manchmal so ein Bauchgefühl. Und dann kam es ein paar Wochen später liebevoll verpackt bei mir an.



Das ansprechende Cover kannte ich bereits von Bildern. Das Büchlein in Händen zu halten, war dann aber doch noch etwas Besonderes. Ich bin pflegende Mutter eines Kindes mit seltenem Gendefekt, einer Gehirnfehlbildung und einer therapieresistenten Epilepsie. Die sogenannten "Awareness-Ribbons" sind lila für die Epilepsie, blau für die Gehirnerkrankungen und blau für seltene Erkrankungen. Hm, wenn ich das Cover genau betrachte, wird mir sofort anhand der Farben klar, warum es mich unbewusst angesprochen hat. Irgendwie könnte es ein Buch für mein Kind sein.

Ein quadratisches, festes Büchlein aus stabilem Karton halte ich mit "Momo" in Händen, perfekt um die Seiten mit Unterstützung umblättern zu können, auch wenn man motorisch nicht so geschickt ist.
Die Geschichte von Momo ist keine Erzählung am Stück, vielmehr dürfen wir Leser Momo in verschiedenen Situationen begleiten. Ob Momo ein Mädchen oder ein Junge ist, wird einfach offen gelassen, so kann sich jedes Kind prima identifizieren bzw. kann wiedererkannt werden. 

Im Büchlein gibt es zahlreiche, liebevolle Details, die manchmal erst auf den zweiten Blick auffallen oder wenn man die Accounts der beiden Autorinnen besser kennt. Ihr gemeinsames Buch "Linus liebt Licht" erkennt man genau so wie Mari von "notjustdown". Als ich bei Momos Schnupfen entdecke, dass die Uhr drei Uhr nachts anzeigt, wird mir zum ersten Mal bewusst, was ich schon vom ersten Satz an gefühlt habe: Das ist mein Buch. Das ist das Buch über mein Kind.

Ich hatte schon früh den Gedanken, dass unsere Tochter im Autismusspektrum beheimatet sein könnte. Häufig angesprochen an verschiedenen Stellen hatte ich das, aber angeblich könnte man das wegen ihrer schweren Hirnschädigung nicht wirklich beurteilen. Doch. Kann man offenbar doch. Die meisten Situationen, in denen Momo beschrieben wird, kenne ich von meiner Tochter und ihre Reaktion kann ich subsumieren in "alles viel zu viel". Auch der Schnupfen. Sie dreht durch, wenn es ihr schlecht geht, versteht nicht, dass Schreien die Situation immer noch verschärft. Sie kann das nicht anders ausdrücken. Es ist ihr einfach viel zu viel. 

Endgültig überzeugt, dass mir endlich Mal jemand mein Kind erklärt, bin ich allerdings bei den beiden Doppelseiten ganz am Ende des Buches. Für Kinder und für Erwachsene wird Autismus in einfacher Sprache kurz, bündig und eindrucksvoll beschrieben. Einen Meltdown von einer Trotzreaktion mit viel Geschrei zu unterscheiden, ist mir bereits selbständig gelungen. Dass ein Meltdown aber auch körperliche Begleiterscheinungen wie Schmerzen nach sich ziehen kann, lese ich zum ersten Mal. Und ich beginne zu verstehen. 

Der nächste Meltdown lässt nicht lange auf sich warten. Ich versuche diesmal gar nicht viel zu sprechen, bin einfach da, Versuche zu halten, was ich darf und als der Meltdown abebbt, bin ich einfach weiter da, versuche ruhig zu sein, was mir erstaunlich gut gelingt, weil das Bewusstsein, dass da körperlicher Schmerz sein könnte, viel Empathie in mir frei setzt. Meine Begleitung dauert gar nicht lang und meine Hummel kann schlafen. Und ich habe das Gefühl, erstmals die Situation einigermaßen im Griff zu haben.

Hätte es dieses wunderbar einfühlsame Büchlein nur schon früher gegeben! Danke, Anna und Jasmin, dafür, dass Ihr mir mein Kind erklärt. Ich beginne endlich zu verstehen, was in ihr Vorgehen könnte.

Abgesehen davon, ist die permanente Wiederholung des Satzes "Für MOMO ist das alles viel zu viel" gut geeignet, um selbst einen Eindruck zu gewinnen, welche Dynamik ein "zu viel" ganz schnell entwickeln kann.

"Momo ist das alles viel zu viel" ist unter der ISBN-Nr. 9 783949 615139 im Brimborium Verlag erschienen.

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