Bilder von meinem Kind machen mich zu einer verantwortungslosen und widerwärtigen Mutter? Ernsthaft?

Unsere Hummel war schon ein paar Mal in der Zeitung und in diversen Broschüren abgebildet. Als wir vor Jahren zum ersten Mal einer Veröffentlichung mitsamt Bild zugestimmt hatten, haben wir uns das vorher gut überlegt. Natürlich kennen wir die Gründe, warum man mit öffentlichen Bildern seines Kindes ausgesprochen restriktiv umgehen sollte, aber wir haben uns auch gut an die Zeit erinnert, als wir völlig verstört, verunsichert und verängstigt von der Diagnose unserer Tochter krampfhaft nach Informationen über das Miller-Dieker-Syndrom und "solche Kinder" im Netz geforscht hatten. Da gab es zu der Zeit so gut wie nichts. Es hätte uns sehr geholfen, wenn wir Gesichter zur Diagnose gehabt hätten und wir sind davon ausgegangen, dass es anderen Eltern auch so geht, also war unsere Entscheidung gefallen und sie war zu sehen.


Im Jahresbericht des Blindeninstituts, im Flyer der Betreuungseinrichtung, in Publikationen des Kinderhospizes - mit und ohne uns -, bei der Stiftung Ambulantes Kinderhospiz, online für unseren Pflegedienst und in diversen Artikeln verschiedener Printmedien. Das war bislang auch nie ein Problem, angefeindet wurden wir deshalb noch nie, im Gegenteil. Vielen Menschen scheint es in der Tat zu helfen, wenn eine Erkrankung, eine Situation "gesehen" werden kann. 

Schon nach der Geburt hatten wir beschlossen, auf unseren persönlichen Profilen Bilder von unserer Maus zu teilen. Freunde, Verwandte, Bekannte, Arbeitskollegen, Nachbarn, sie alle wussten von der lebenslimitierenden Prognose, die mit der Diagnose unserer Tochter einher ging. Indem wir offen mit unserer Situation umgegangen sind, gab es für unsere Mitmenschen weniger Berührungsängste, wenn sie mitbekommen haben, dass es mal wieder nicht optimal läuft. Wenn man sich nur alle paar Monate vielleicht mal sieht oder hört, kann es schon schräg und verunsichernd sein, wenn man nicht weiß, ob das Kind noch lebt und versucht, sich vorsichtig zu erkundigen, wie denn die Lage ist. So wussten alle was los ist bei uns und konnten entsprechend reagieren. Das hat sehr viel Unsicherheit genommen.

Im Laufe der Zeit wurde mir bewusst, dass auch meinem Blog vielfach Menschen aus unserem mehr oder weniger direktem Umfeld folgen. Mit der gleichen Intention: Sie möchten wissen, wie es geht und Einblicke in unser Leben helfen vielen Menschen, zu verstehen. Ich kann ja auch nicht automatisch erwarten, dass jemand, der nie mit solchen Themen zu tun hat, von sich aus versteht, warum Wickelliegen in Behindertentoiletten wichtig wären, warum es wirklich nicht in Ordnung ist, auch mal schnell unberechtigt auf einem Behindertenparkplatz zu stehen, was es bedeutet, ein medizinisch komplexes Kind zu versorgen, wie viele Anträge, Widersprüche notwendig sind, um wenigstens das Nötigste fürs Kind durchzusetzen und so weiter.

Auch dass ein für andere Kinder harmloser Schnupfen für ein Kind wie unseres schnell lebensbedrohlich werden kann, kann man sich vermutlich nicht zwingend vorstellen, wenn man es nicht selbst erlebt hat. Wie schnell es bei unserer Motte kritisch werden kann, überrascht auch unsere erfahrenen Pflegeschwestern noch manches Mal. 

So habe ich mir also wieder einmal erlaubt, ein Bild unseres Kindes zu posten, zu erzählen, dass sie sich einen fiesen Infekt eingefangen hat und dass uns das leider nicht überrascht, weil es - wie von uns bereits prognostiziert - mit dem Ende der Maskenpflicht in der Schule einhergeht. Und genau das war nun Auslöser für einen kleinen Shitstorm. Als Maskenfetischistin wurde ich bezeichnet und ich wurde gefragt, ob ich mich 2019 auch schon über einen Schnupfen aufgeregt hätte. Ja, hab ich und das mit Recht. Für mich hat ein krankes Kind noch nie in die Schule gehört. Aber bislang hat ja bei jedem das Argument gezogen "der Arbeitgeber duldet nicht, dass ich so häufig wegen des Kindes daheim bleibe" und "man kann ja die Kinder nicht mit jedem Schnupfen daheim lassen". 

Inzwischen schreiben wir aber das Jahr 2021 und in meiner grenzenlosen Naivität dachte ich wirklich, die Menschen hätten aus der Pandemie auch praktische Dinge gelernt: Kinder waren monatelang zu Hause "zu stemmen" und Arbeitgeber mussten zusammen mit den Familien Lösungen finden. In vielen Berufen ist Homeoffice inzwischen etabliert, arbeiten ist also flexibler. Masken schützen und zwar nicht nur vor Coronaviren. Der Maske ist das völlig egal, ob da ein Noro-, ein Influenza- ein Rhino- oder eben ein Coronavirus daher kommt oder wie immer das Virus heißen mag, sie schützt.
Kluge Japaner praktizieren schon gefühlt immer das Maskentragen sobald sie ein Kratzen im Hals spüren. Aus Rücksichtnahme anderen gegenüber, nicht weil sie Maskenfetischisten sind. Und es hilft Krankheiten einzudämmen. 2019 hätte man mich vermutlich schräg angeschaut, aber 2021 hat ja jeder Masken zu Hause und eigentlich gelernt, wie man sie trägt und warum. Da frage ich mich doch, warum der Vorschlag, jemandem, mit einem Infekt eine Maske vor die Schnute zu packen so exotisch sein soll. Und dass Masken schützen haben wir in den letzten Monaten erleben dürfen: Unser Kind war nicht krank. Wäre die Epilepsie nicht zeitweise hässlich geworden, wäre das ein traumhaftes Jahr für uns gewesen. Man traut sich kaum, es laut auszusprechen! Und dass es eben noch andere Erkrankungen gibt, die fies werden können außer Corona, sollte ja wirklich kein Geheimnis sein.

"So ein Bild zeigt man nicht von seinem Kind" hieß es. Das wäre widerwärtig, verantwortungslos und würde die Privatsphäre meines Kindes verletzen. Echt jetzt? Ich darf nur die niedlichen, fröhlichen Bilder zeigen? Die Bilder, wenn sie illustriert wie und für wen Spenden mancher Institutionen verwendet werden? Bilder, auf denen sie lacht? Ich nehme diese Angriffe nicht persönlich. Allgemein stelle ich fest, dass Accounts von Eltern behinderter Kinder derzeit mit solchen Angriffen überrollt werden, dass derartige Accounts Zielscheibe von Anfeindungen sind. Ich nehme an, es ist schwer aushaltbar "so ein Bild", auf dem man sieht, dass es dem Kind nicht gut geht. Da ist es sehr viel einfacher, jemanden wegen der Publikation des Bildes anzugreifen, als die Intention dahinter verstehen und vielleicht sogar das eigene Tun hinterfragen zu wollen. Für mich ist das eine recht subtile und irgendwie perfide Form von Ableismus, wenn wir "solche Bilder" unserer Kinder nicht zeigen dürfen. Ob ihr Recht auf unversehrte Gesundheit geschützt wird, hat irgendwie niemand hinterfragt. Schade! 

Andere Eltern von Kindern mit ähnlichen Problematiken sind oftmals froh und dankbar, wenn sie Bilder sehen, die ihnen versichern, sie sind nicht alleine mit ihrer Situation, bei anderen Kindern sieht etwas genauso aus, wie beim eigenen, Beschwerdebilder sind ähnlich, Anfälle lassen sich vielleicht besser einschätzen und einordnen. Es kann anderen Eltern Mut machen zu sehen, wie man in solchen Situationen agieren kann, dass es mehr von unserer Sorte gibt. Daher zeigen wir unsere Kinder und verstecken sie nicht. Die Zeiten sind auch hoffentlich vorbei, in denen man behinderte Kinder möglichst unsichtbar gemacht hat.

Ich würde sie bloßstellen und vorführen, wurde mir vorgeworfen. Ernsthaft? Weil ich zeige, dass sie krank ist? Das ist nicht mal ein "schlimmes" Bild von ihr. Bilder, auf denen sie blutverschmiert, verquollen und völlig mit Medikamenten zugedröhnt zu sehen ist, existieren ohnehin nicht als Datei, sondern sind für immer in meinem Gehirn eingebrannt. In jedem Fall übrigens als Resultat einer "harmlosen Erkältung", die es für andere Kinder sicher jedes Mal war. Ich habe mein Kind nicht abgelichtet, nachdem es völlig mit Drogen zugedröhnt nach Hause getorkelt ist, nicht nach exzessivem Alkoholmissbrauch, nicht nach einem falsch eingeschätzten Kletterversuch und nicht mal nach einer der derzeit so seltsam beliebten Cake-Smash-Aktionen, deren Sinn und Witz sich mir leider noch nie erschlossen hat. DAS wäre in meinen Augen bloßstellen. Aber ein krankes Kind zu zeigen, das nichts, aber auch gar nichts für seinen Zustand kann, das hat nichts aber auch gar nichts mit Vorführen zu tun. Die Kritik daran zeigt lediglich, wie unerträglich der Anblick für manche Menschen sein muss. 

Und genau darum, damit sich das möglichst viele einprägen, werde ich nicht aufhören, auch Bilder meines Kindes zu zeigen, wenn es ihm nicht gut geht. In meiner grenzenlosen Naivität gebe ich nämlich die Hoffnung nicht auf, dass vielleicht doch der eine oder andere hin und wieder drüber nachdenkt, wie Rücksichtnahme und Mitdenken wirklich funktionieren. Und nebenbei bemerkt ist es recht interessant, dass die Maskenpflicht in der Schule plötzlich doch wieder eingeführt wird. Die Kinderkliniken sind nämlich voll. Corona spielt dabei zum Glück noch keine große Rolle. Aber andere Viren, die Kindern gefährlich werden können, auch normaltypischen Kindern, sind gerade in diesem Jahr sehr aggressiv. Auch kein Wunder eigentlich, denn durch die Maskenpflicht, Lockdowns und Abstände war das Immunsystem unserer Kinder nicht sonderlich gefordert in den letzten Monaten. Es wäre von vornherein sinnvoll gewesen, die Maskenpflicht erst im Frühjahr enden zu lassen, wenn auch die hässlichen Herbst- und Winterviren nachlassen und die Kinder nicht mehr gar so anfällig sind. Aber die Erkenntnis kommt ja gerade und besser spät als nie. 

Übrigens ist unsere Tochter nach wie vor nicht fit. Sie hat kein Fieber, sie hat keine Schmerzen, sie ist recht wach und lautiert, aber sie braucht nach wie vor Sauerstoff. Ihren harmlosen Infekt gibt sie scheinbar gerade an mich weiter - klar, wer stundenlang ein krankes Kind auf dem Bauch liegen hat zum Abklopfen, fängt sich irgendwann das ein, was da im Kind brodelt. Bei mir ist es bislang nur ein harmloses Kratzen im Hals. Corona konnte ich durch Test bereits ausschließen und mir fehlt sonst nichts. Zum Schutze meiner Mitmenschen bewege ich mich allerdings auch in den eigenen vier Wänden mit Maske. Ganz selbstverständlich. Aber wer weiß, vielleicht schlummert in meinem verantwortungslosen, widerwärtigen Unterbewusstsein ja doch eine Maskenfetischistin. Ich bin mir sicher, dass Menschen da draußen, die mich nicht kennen, das sehr genau beurteilen können.



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