In Kürze startet die neue Serie: Diagnosen

Bevor in den nächsten Tagen die neue Serie "Diagnosen unserer Kinder" beginnt, möchte ich an dieser Stelle ein paar allgemeine Dinge loswerden. Wir, die wir über die Diagnosen unserer Kinder berichten werden, sind keine Mediziner, wir sind Eltern. Das heißt, dass wir nicht sehr intensiv auf die medizinischen Diagnosen und deren konkrete Bedeutungen eingehen werden, das können Ärzte wesentlich besser und ausführlicher erklären. Wir möchten ein wenig umreißen, was von dem, was Sie von Ärzten, Therapeuten und dem Weltnetz hören und lesen, auf unsere Kinder im Speziellen wirklich zutrifft.



Wir erheben überhaupt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, wir möchten ausdrücklich betonen, dass es sich lediglich um unsere persönlichen Erfahrungen handelt. Jedes Kind ist anders, auch Kinder mit der gleichen Diagnose können sich völlig unterschiedlich entwickeln. Wir erleben das und wir möchten Sie ausdrücklich daran erinnern.

Wenn Sie die Blogbeiträge lesen und ganz neu mit einer Diagnose konfrontiert worden sind, kann es sein, dass Sie sich ein wenig überfordert fühlen. Das ist völlig normal und gar nicht schlimm. Geben Sie sich Zeit und gehen Sie immer nur so viele Schritte, wie Sie sicher auf einmal zurück legen können. Wenn Sie an irgendeiner Stelle den Eindruck haben, unsere kleine Gruppe könnte Ihnen helfen, dann setzen Sie sich bitte mit mir in Verbindung, ich stelle bei Bedarf Kontakt zu den entsprechenden Eltern her.

Was ich Ihnen empfehlen möchte, wenn Sie ein Kind haben, das mit einigen Besonderheiten zur Welt gekommen ist, bleiben Sie immer wachsam und informieren Sie sich. Es ist gut, ein funktionierendes Team um sich herum zu versammeln. Wichtige Teamplayer sind ein fähiger Neuropädiater bei neurologischen Problemen, gute Fachärzte, ein sehr gut erreichbarer Kinderarzt. Da ich keine Freundin des modernen Genderns bin, mögen sich die Damen aller Fachrichtungen bitte auch automatisch mit eingeschlossen fühlen. Ich bin noch altmodisch und halte es mit dem generischen Maskulinum. (Das nur am Rande).

Ihr Therapeuten-Team müssen Sie vermutlich im Laufe der Zeit erweitern und immer mal anpassen. Informieren Sie sich getrost, welche Therapiemöglichkeiten und -formen überhaupt existieren und was für Ihr Kind notwendig und sinnvoll sein könnte. Probieren Sie aus und wenn Sie oder Ihr Kind mit einem Therapeuten gar nicht klar kommen, dann sollten Sie schnellstmöglich wechseln. Der Therapieerfolg hängt entscheidend davon ab, ob die Chemie stimmt. 

Je nach Grad der Behinderung und je nach Aufwand der Pflege ist die Unterstützung durch einen Pflegedienst sinnvoll bis notwendig. Erkundigen Sie sich frühzeitig, welche Leistungen Ihnen zustehen und wie und wo Sie an geeignete Kräfte kommen. Auch ein Kindergarten- oder Schulbesuch kann unterstützt werden, auch hier gibt es verschiedene Varianten, über die Sie sich informieren sollten.

Eine fähige Firma für Rehatechnik wird Ihnen viele Kopfschmerzen ersparen, wenn es um Hilfsmittel geht. Kümmern Sie sich frühzeitig darum, dass Ihr Kind gut unterstützt sitzen kann, informieren Sie sich, wie die Aufrichtung erreicht werden kann durch geeignetes Stehtraining und ob selbständige Fortbewegung in irgendeiner Form möglich sein kann. Orthesen dürfen nicht drücken, duschen und baden darf Ihre Bandscheiben nicht belasten, das Kind muss dennoch sicher sitzen bzw. liegen. Es gibt Möglichkeiten, das Schleimmanagement zu unterstützen, häufig sind Geräte hierfür beim gleichen Versorger angesiedelt, der sich auch um Sauerstofftherapie kümmert. 

Sie dürfen zugeben, dass Sie an Ihre Grenzen kommen, sie dürfen und sollen Sich um sich selber kümmern und gut für sich sorgen. Nur wenn Sie gut für sich selbst sorgen, können Sie auch für Ihre Familie sorgen. Es ist in Ordnung auch richtig schlechte Tage zu haben, es ist in Ordnung, zu weinen, zu hadern, wütend zu sein. Seien Sie sich dessen bewusst, dass Sie - egal wie und was Sie empfinden - nie alleine mit diesem Gefühl sind. Sie dürfen sicher sein, es gibt auch viele schöne Momente, gute Tage, Situationen, die so komisch sind, dass Ihnen der Bauch weh tut vor lauter Lachen, Erlebnisse, von denen Sie niemals dachten, dass Sie sie haben würden, Zentimetersteine, die echte Meilensteine in Ihren Augen sein werden. Sie werden sich und Ihre Situation betrauern, bei lebenslimitierenden Diagnosen werden Sie früh immer wieder Abschied auf Raten nehmen, sie werden aber auch eine unendliche Dankbarkeit empfinden, ein ungeahntes Glück, sehr viel Demut und inneren Frieden erlangen, wenn Sie in der Lage sind, alle Gefühle zuzulassen. 

Gerade die Mütter werden sich an ein schlechtes Gewissen gewöhnen müssen. Und das kommt in allen möglichen Situationen durch. Ein schlechtes Gewissen, weil Sie nicht stillen konnten, weil das Kind eine Magensonde braucht und Sie denken, Sie könnten Ihr Kind nicht ernähren. Es wird immer die Mutter geben, die mehr Therapien für ihr Kind macht, mehr Ärzte besucht, mehr untersuchen lässt, mehr forscht, aber es ist nicht notwendig, deswegen ein schlechtes Gewissen zu haben. Ich sehe viele Mütter, bei denen ich mir denke "ich würde das nicht auch noch schaffen, aber eigentlich müsste ich" und dann kommt irgendwann ein Gespräch zustande, in dem sich herausstellt, dass genau diese Mutter ein schlechtes Gewissen hat, weil sie etwas, was ich tue, so empfindet, als könnte sie mehr tun. Es wird sich ausgleichen. Es gibt nie ein richtig oder falsch. Eines Tages werden Sie Experten für Ihre Kinder sein. So lange Sie zu jedem Zeitpunkt mit jeder Ihrer Entscheidungen so gut leben können, dass Sie sagen können, nach bestem Wissen und Gewissen ist dieser Entschluss JETZT genau der richtige, ist es unnötig, Jahre später zu überlegen, hätte ich doch nur und wäre ich doch bloß. 

Auch wenn Sie als Mutter lange brauchen, um eine echte Bindung zu Ihrem Kind aufzubauen, überlegen, ob Sie dieses Kind jemals uneingeschränkt lieben werden, wenn Sie Phasen haben, in denen Sie sich wünschen, dieses Leben nicht leben zu müssen, fühlen Sie sich nicht schlecht. Es ist normal, auch verzweifelt zu sein, normal, einfach ein "normales" Leben haben zu wollen und nicht täglich anzupassen, an das was halt irgendwie geht. Umarmen Sie Ihr Leben und lassen Sie alle Gefühle zu, wenn es nicht alleine geht, suchen Sie jemanden, der Ihnen hilft, diese Gefühle zu kanalisieren. Ihr Leben wird anders sein, aber anders ist nicht schlecht.

Sicher ist es eine gute Idee, sich frühzeitig damit auseinander zu setzen, was auf Sie zukommen könnte, aber sehen Sie bitte keine Diagnose als in Stein gemeißelt. Jedes Kind entwickelt sich individuell und "alles kann, nichts muss", gilt auch in solchen Situationen uneingeschränkt. Seien Sie kritisch, wenn jemand von vornherein mitteilt, dass irgendetwas so und so sein wird. Kann. Muss aber nicht. Viel Potential ist in unseren Kindern, oft versteckt, wird es frei mit der entsprechenden Förderung. Egal wie schwierig es auch oft ist, es wird anders. Nicht immer gleich wieder besser, aber manchmal bedeutet anders, dass man irgendwie besser umgehen kann und das ist gut.

An den Tagen, an denen Sie einfach nur hadern, wünsche ich Ihnen, dass Sie sehen können, dass es noch viel schlimmer sein könnte. Ich wünsche Ihnen viele, unvergessliche Momente und wenn wir, die kleine Gruppe von - im Augenblick nur - Sondenmamas Ihnen helfen können, dann zögern Sie nicht, sich an uns zu wenden. Wir freuen uns, wenn unsere Erfahrungen Ihnen Hilfe sein können und wir freuen uns, Sie kennenzulernen und wir freuen uns, wenn Sie erkennen, dass unsere Kinder wirklich so viel mehr sind als ihre Diagnose. Und wir freuen uns, wenn auch Sie, genau wie wir, so unendlich viele schöne Momente erleben werden und sich genau darüber auch freuen können.

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