Soziale Isolation aber ganz viel Zeit während der Krise

Inzwischen haben wir verstärkte Ausgangsbeschränkungen. Nur noch wirklich wichtige Erledigungen sollten getätigt werden und Spaziergänge oder Sport mit den Familienangehörigen. Für viele Menschen stellt das einen großen Einschnitt in ihr tägliches Leben dar, vielen fühlen sich sozial isoliert. Gebannt saßen wir letzte Woche vor dem Fernsehgerät und haben uns angehört, wie die Beschränkungen konkret aussehen sollen und was sich damit für uns ändert. Ein wenig verblüfft konnten wir feststellen: Eigentlich so gut wie gar nichts. Sind wir sowieso schon sozial isoliert?


Gut, die Therapien fallen aus, das ist neu und das ist wirklich anstrengend. Mein freier Abend, den ich mir seit geraumer Zeit einmal im Monat gönne, um ganz alleine Freunde zu treffen, ist auch erstmal wieder auf Eis gelegt und wir arbeiten im Moment ausschließlich von zu Hause aus. Gerade für meinen Mann, der bislang sehr viele Termine wahrgenommen hat, ist das schon ein Einschnitt.

Aber wir hatten während der letzten neun Jahre immer wieder solche Phasen auch ohne wütende Viren. Es gab immer wieder Zeiten, in denen wir tatsächlich so gut wie gar keine persönliche Kontakte zur Außenwelt hatten. Eltern und Schwiegereltern wohnen weit entfernt, auch viele unserer Freunde und Bekannten und es ist für uns seit Jahren völlig selbstverständlich, dass wir per Telefon oder Mail Kontakt halten oder die sozialen Medien für den Austausch nutzen. "Ich drück Dich aus der Ferne" ist ein üblicher Standardsatz, den ich mit einigen Freundinnen austausche. Schon seit Jahren.

Ein wenig komisch kam mir das schon vor und ich hab kaum getraut, das laut zu formulieren, aber dann habe ich immer häufiger gelesen, dass es anderen genau so geht. Vor allem Mütter von Kindern mit Beeinträchtigungen stellen erstaunt und inzwischen auch belustigt fest, dass der aktuelle Zustand sozialer Kontakte für uns die Normalität darstellt. Sind wir sozial isoliert? Ja, teilweise sind wir das wohl, aber es ist schön zu sehen, dass wir es mit viel Humor sehen können. Und wir können allen Neulingen auf dem Gebiet versichern: Es ist weniger schlimm, als es sich grad anhört und es ist gut machbar. Die moderne Technik erlaubt dennoch viel soziale Interaktion.

Was neben den eingeschränkten sozialen Kontakten ein weiteres Themenfeld ist, ist die Zeit, die nun alle haben. Zeit um auszumisten, um lange geplante Projekte durchzuführen, Zeit für die Familie, "endlich Zeit" höre ich überall. Zeit, die genutzt wird, um lustige Spiele zu spielen entweder vor Ort in den Familien oder in den sozialen Medien. In dem Punkt muss ich wiederum passen. Ich wüsste grad gar nicht, wo zusätzliche  Zeit herkommen soll. Klar, es hat sich für uns ja eben nicht so viel geändert, da kann auch keine Zeit vom Himmel fallen. Aber eigentlich ist es mit der Zeit eher schlechter als vorher.

Zwar kann unser Pflegedienst noch kommen, um uns bei der Betreuung unserer Motte während der Schulzeit zu unterstützen, auch Nachtdienste werden noch so wie im Dienstplan vereinbart, durchgeführt, aber es können natürlich nicht alle Stunden komplett abgedeckt werden, die bislang Schulzeit waren. Immer eine Person zusätzlich im Haus zu haben, ist eine große Hilfe, aber doch auch irgendwie gewöhnungsbedürftig. Ich werde allerdings einen Teufel tun, mich darüber zu beklagen. Was für ein Glück wir haben, dass es so läuft, wie es läuft, in anderen Familien gibt es keine Pflegestunden mehr, da müssen die Familien alles komplett alleine stemmen. Und die haben dann zwangsläufig noch viel weniger Zeit.

Reduzierte Betreuungszeiten und ausfallende Therapien bedeuten, dass wir auffangen müssen, was nur irgendwie geht. Das bedeutet selbst therapieren, was Zeit kostet, das bedeutet Betreuungszeiten zu übernehmen, die bislang abgedeckt waren, aber wir arbeiten ja weiter. Komplett im Homeoffice, aber wir arbeiten. Der Haushalt läuft auch weiter und einkaufen dauert unter Umständen ein wenig länger als vorher. Also das mit der zusätzlichen Zeit funktioniert irgendwie nicht so ganz. Auch da habe ich mich ein wenig umgehört und stelle fest, dass das für alle pflegenden Angehörigen so ist. Die haben alle noch weniger Zeit als vorher.

Noch lässt sich das alles stemmen. Ich stelle zwar wie viele pflegende Angehörige fest, dass ich irgendwie schon ein wenig mehr erschöpft bin als bislang. Emotional fühle ich mich ausgelaugt ob der Horrorszenarien, aber unsere persönliche Situation ist gar nicht so viel anders als vorher.
Allen, die gerade ein wenig darunter leiden, dass sie ihre sozialen Kontakte massiv einschränken müssen, möchte ich sagen: Man überlebt das. Gut sogar. Ich möchte nicht zynisch werden und Euch zurufen "Willkommen in meinem Leben!", ich möchte Mut machen. Freundschaften halten, mit kreativen Mitteln kann man auch aus der Ferne Parties feiern, Kontakte halten und Spiele spielen. Für die meisten wird irgendwann das Leben wieder bunt und munter weiter gehen. Die sozialen Einschränkungen gelten für die meisten von uns nur für ein paar Wochen. Für Familien wie uns wird sich auch nach der Krise nicht viel ändern.

Und allen, die grade wirklich mehr Zeit haben als früher, möchte ich sagen: Freut Euch darüber. Ganz ernsthaft und nutzt sie sinnvoll. Hängt nicht die ganze Zeit auf der Couch, sondern bewegt Euch, so lange es noch möglich ist auch draußen, natürlich unter den entsprechenden Vorgaben! Ernährt Euch gut, das dankt das Immunsystem, dann können wir nach unserer Isolation wieder gestärkt aus der Krise gehen. Alles Gute!

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Nicht ganz dicht, oder?

Wenn das Sterben zum Leben gehört

Urlaub im Sternenzelt