Denkt eigentlich auch jemand an die armen Pflegekräfte und Ärzte in den Krankenhäusern?

Kaum sind die neuen Regelungen zur Ladenöffnung in Kraft getreten, schießen massenweise Posts aus den sozialen Medien, in denen die großen Lebensmittelketten aufgefordert werden, die Ladenöffnungszeiten beizubehalten um die armen Verkäufer zu schonen, die jetzt schon am Limit sind. Denkt mal an Euer Personal und deren Familien lautet der Appell. Mir tränen langsam die Augen und ich glaube wirklich, wir sind überhaupt gar nicht mehr zu retten, denn sehr offensichtlich haben hier einige Menschen immer noch nicht verstanden, worum es gerade geht. Ja, es ist anstrengend, viele Überstunden machen zu müssen, aber denkt eigentlich auch mal jemand an das medizinische Personal, das grad wirklich alles gibt? Da geht es um Menschenleben. Möchte mal jemand sehen, wie Erschöpfung aussieht und Verzweiflung? Ich hab da ein kleines Beispiel parat:

Richtig, so ein ähnliches Bild habe ich neulich schon mal gepostet. Das war Heilig Abend 2016 und wir hatten keine Ahnung, ob wir unsere Tochter wieder mit nach Hause nehmen können. Ich konnte die Augen mal ein paar Minuten schließen, die Ärzte und Pflegekräfte konnten das an dem Tag nicht. Nicht nur wir hatten an dem Tag Krise, die Intensivstation war relativ voll. Es war Heilig Abend, da sitzt man normalerweise beschaulich zu Hause, isst nett und tauscht Geschenke aus. Das konnte das Klinikpersonal nicht tun. Im Gegenteil, sie mussten alles geben und keiner, wirklich überhaupt keiner hat sich auch nur in einem kleinen Halbsatz darüber beschwert. Im Gegenteil, als wir uns bedankt haben, dass sie da sind, haben wir in erstaunte Gesichter geblickt, denn man höre und staune, das war für die ganz einfach selbstverständlich. Es war selbstverständlich, dass sie da sind, dass sie um das Leben unseres und anderer Kinder kämpfen und alles geben.

Hat jemand schon mal Tränen in den Augen von Ärzten und Pflegekräften gesehen? Wir schon. Hat jemand schon mal miterlebt, wie es sich anfühlt, wenn erst über Stunden und Tage betriebsame Hektik im Nebenzimmer wahrzunehmen ist und plötzlich Stille herrscht, weil der Patient im Nebenzimmer verstorben ist? Wir schon. Solche Situationen sind wirklich dramatisch, aber während einer Pandemie wird es solche Situationen leider immer wieder geben müssen. Denkt auch mal jemand daran, was solche Situationen mit Ärzten und Pflegekräften machen, die immer wieder ihr Bestes geben und zum Äußersten greifen und ihnen dennoch die Patienten unter den Fingern wegsterben? Wir müssen dringend dafür sorgen, dass nicht zu viele Menschen gleichzeitig krank werden, damit Ärzte und Pflegekräfte möglichst lange die Chance haben, möglichst vielen Menschen zu helfen.

Aktuell sind die Krankenhäuser nicht grade menschenleer und warten sehnsüchtig darauf, dass es endlich mal mit Corona richtig rund geht, damit jeder mal ausnahmsweise was zu tun hat, nein, im Gegenteil, die Krankenhäuser sind jetzt schon gerammelt voll. Wir haben nämlich auch noch - oh große Überraschung zu dieser Jahreszeit - eine Grippewelle, die medizinisches Personal ganz gewaltig fordert. Der Sparkurs der letzten Jahre, der in der Pflege gefahren wurde, rächt sich schon lange. Zu wenig Pflegefachkräfte, zu wenig konstantes Personal und leider inzwischen zu viel medizinisches Personal, das tatsächlich Probleme mit der Kommunikation hat.

Wir gehören leider zu den Familien, die häufig in Kontakt kommen mit Krankenhäusern. Eine schwerst-mehrfach behinderte Tochter mit Pflegegrad fünf und Eltern und Schwiegereltern, die in den letzten Jahren leider alle durch die Bank Krankenhausaufenthalte hinter sich bringen mussten, geben uns regelmäßig einen Einblick in die aktuelle Pflegesituation unseres Landes und wir sind zunehmend entsetzt. Haben wir mit der Klinik unserer Tochter noch immer sehr viel Glück, weil im Vergleich zu anderen Häusern viele Dinge noch gut laufen, stellen wir dennoch fest, dass die Pflegekräfte langsam an ihre Grenzen stoßen. Jetzt schon. Vor Corona!

In anderen Häusern und in der Erwachsenenpflege ist die Situation teilweise schon richtig dramatisch. Ich hatte mehrere Gespräche mit Ärzten und Pflegekräften während längerer Aufenthalte meines Vaters und es war zum Teil tatsächlich nicht mehr möglich, mich schnell und gut zu verständigen. Wie wird das, wenn es um Leben und Tod geht und man sich gegenseitig nicht mehr richtig versteht? Es ist lebenswichtig, genau das richtige Medikament zu erwischen, genau das Richtige zu tun, ich sehe die aktuelle Pflegesituation sehr kritisch, geschuldet dem Sparkurs der letzten Jahre.

Alle, die arbeiten, geben aber immer alles. Rund um die Uhr bis zur eigenen Erschöpfung. Denkt mal jemand daran, dass auch Ärzte und Pflegekräfte, Altenpfleger, Pflegekräfte in der häuslichen Pflege etc. nach ihrer aufreibenden Schicht auch noch für sich und ihre Familien einkaufen müssen? Und wie genau sollen wir denn bewerkstelligen, dass wir Abstand halten, möglichst nicht im Pulk einkaufen, wenn wir die Öffnungszeiten belassen statt massiv auszudehnen? Es geht doch aktuell nicht darum, dass die Händler mehr Profit machen sollen, sondern es geht darum, dass wir soziale Kontakte einschränken können, dass wir Abstände einhalten können.

Euch tut das Verkaufspersonal leid? Mir auch. Sehr sogar. Die werden sicher Überstunden ohne Ende machen müssen, das ist bitter, aber was noch viel schlimmer ist, ist die Dummheit und Disziplinlosigkeit mancher Zeitgenossen. Inzwischen haben wir auch auf dem Land immer wieder mal leere Klopapier-Regale. Ich begreife es immer noch nicht, warum man ausgerechnet meint, Toilettenpapier horten zu müssen. Inzwischen müsste sich doch eigentlich jeder einen vernünftigen Vorrat zugelegt haben, so dass diese dummen Hamsterkäufe endlich aufhören könnten. DAS belastet das Verkaufspersonal massiv. Wenn sich Kunden über die letzte Packung Küchenrolle fast in die Haare kriegen, wenn sie mit dem Auffüllen nicht mehr nachkommen, weil jeder plötzlich einkauft, als gäbe es kein morgen mehr.

Wenn Ihr wirklich Mitleid mit den Mitarbeitern des Einzelhandels habt, dann verhaltet Euch halt endlich mal vernünftig. Geht mit Abstand zivilisiert einkaufen und kauft Euren aktuellen Bedarf. Mehr nicht. Zahlt mit Karte, geht nur einkaufen, wenn ihr ganz gesund seid und überlegt, wann Euer Stammladen möglicherweise nicht ganz so überlaufen ist und nutzt diese Zeiten, Und bitte, fangt nicht ständig an zu jammern, dass Ihr persönlich jetzt so rasend viele Nachteile habt. Medizinisches Personal, Polizei, Rettungskräfte, Feuerwehren, THW, sie alle arbeiten, zum Teil sogar ehrenamtlich, schon immer in Schichten rund um die Uhr. Ich bin eine Polizistentochter, die mit einem Journalisten verheiratet ist, der Arztsohn ist. Merken Sie was? Für uns ist es nach wie vor völlig normal, dass Arbeit auch zu Zeiten stattfindet, die in anderen Familien Freizeit bedeutet.

Was ich auf jeden Fall noch ganz deutlich loswerden möchte, ist ein dickes, fettes Dankeschön an alle, die sich Tag für Tag in den Krankenhäusern, in den Alten- und Pflegeheimen und bei Familien wie uns in der häuslichen Pflege den Allerwertesten aufreißen, um kranke, alte und beeinträchtigte Menschen bestmöglich zu versorgen und das selbstverständlich, kompetent und zuverlässig. Danke, dass Ihr für uns alle da seid! Italien singt für seine Pflegekräfte, das würde uns Deutschen auch gut zu Gesicht stehen, allen, die jetzt besonders belastet sind in ihrer Arbeit zu feiern und zu besingen. Ja, durchaus auch die vielen Menschen, die jetzt im Verkauf zu widrigen Bedingungen arbeiten müssen. Helfen wir doch mal alle zusammen und denken auch eine Armlänge weiter!

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