Sind wir noch zu retten?

Langsam fange ich ernsthaft an, an der Intelligenz der Menschen zu zweifeln. Wir haben in Bayern seit gestern den Katastrophenfall. Das hat es landesweit noch nie gegeben. Man möchte meinen, dass jetzt langsam auch dem Letzten bewusst wird, dass wir ein Problem haben, das gerade aus dem Ruder läuft und bei dem wir zusehen müssen, dass wir den Schaden begrenzen. Mein Fehler scheint zu sein, dass ich immer von mir auf andere schließe und davon ausgehe, dass alle selbstverständlich alles tun, um sich in solchen Krisenzeiten gesund zu halten. Aber ich bin naiv, selten naiv. Wir haben den Katastrophenfall, Schulen, Kindergärten und Tagesstätten sind geschlossen, die Menschen sollen zunehmend im Homeoffice arbeiten und ich sehe volle Eisdielen, volle Biergärten, volle Spielplätze - ja geht's denn eigentlich noch? Schön langsam aber sicher hat der Spaß ein Loch! Möchtet Ihr mal was sehen, Ihr, die Ihr immer noch in Horden da draußen rumlauft? Hier, bitte:

Das war unsere Tochter an Heilig Abend 2016. Sie hatte aspiriert und wir mussten sie wegen einer Lungenentzündung ins Krankenhaus bringen. Die Lage dort ist ziemlich schnell ziemlich eskaliert und Ärzte und Pflegepersonal mussten alles geben, um das Ruder rum zu reißen. Es ist geglückt, unsere Prinzessin musste nicht mal beatmet werden, aber ihre Lunge wurde natürlich weiter geschädigt. Zwei Mal hätten wir sie während dieses Aufenthalts fast verloren. Dass sie diese Krise überstanden hat, grenzt nach wie vor an ein Wunder.
Das war leider nicht die letzte Lungenentzündung und mit jeder weiteren hat die Lunge ein Stück mehr gelitten. Wir wissen, dass sie eine Beatmung vermutlich nicht schadlos oder gar nicht überstehen würde, daher setzen wir alles daran, sie vor einer weiteren Lungenentzündung zu schützen. Sie gehört nämlich - ganz unabhängig von ihrem Alter - zur Risikogruppe. Sie ist Risikopatientin was RSV-Viren angeht, die Grippe, Corona-Viren aber auch ein Noro-Virus könnte sie einfach umhauen.

Jetzt hat angeblich jeder Panik und jeder hat latent Angst, sich anstecken zu können, achtet auf jedes Halskratzen und reagiert auch dann panisch, wenn in seinem Umfeld jemand hustet oder niest, was in Allergiezeiten, die bereits ausgebrochen sind, sehr häufig vorkommen kann. Jetzt haben alle Panik. Willkommen in unserem Leben! Genau mit dieser latenten Angst leben wir seit neun Jahren. Mit dieser latenten Angst leben alle Familien, in denen ein Familienangehöriger eine Vorerkrankung hat. COPD-Patienten, Patienten mit SMA, Krebspatienten, Nierenkranke, Diabetiker, Beatmete - die Liste ist lang. All diese Risikopatienten zusammen mit den Älteren in unserer Gesellschaft, gilt es zu schützen. Wir müssen verhindern, dass diese Patienten sich anstecken, ohne panisch zu reagieren.

Wir haben ein Problem in unserem Gesundheitssystem, wir haben schlichtweg zu wenig von allem. Zu wenig freie Betten, denn oh großes Wunder, wir haben auch noch eine Grippewelle, wir haben zu wenig Beatmungsgeräte frei und vor allem haben wir zu wenig Personal, das das Equipment bedienen kann. Der Pflegenotstand rächt sich in solchen Zeiten mehr als uns lieb ist. In Italien ist die Lage bereits so eskaliert, dass das medizinische Personal entscheiden muss, welche Patienten noch gerettet werden können und bei welchen man die äußersten Maßnahmen, Beatmung beispielsweise einstellen muss, weil man einfach nicht mehr jeden retten kann. Ich weiß ganz sicher, wenn wir in unserem Land in so eine Situation kommen, werden Kinder wie unsere Tochter nicht zu denen gehören können, um deren Leben gekämpft wird. Ein Kind, das ohnehin eine reduzierte Lebenserwartung hat, wird, wenn es eng wird, aufgegeben. Mir ist das nicht egal und ich würde mir wünschen, dass sich alle, die noch Nachbarschaftsparties organisieren, genau das klar machen. Geben Sie den Risikopatienten einfach ein Gesicht und fragen Sie sich, ob es sich nicht doch lohnen könnte, genau diesen Menschen zu schützen.



Handhygiene ist wirklich oberstes Gebot, Menschenansammlungen vermeiden, zu lange zu eng gedrängt nirgendwo mehr stehen, all das sollte jeder beachten. Dann ist es nicht nötig, sich panisch einzusperren, sich von Kopf bis Fuß zu desinfizieren, noch bevor man das Haus betritt und irgendwelche Mundschutzmasken zu tragen, die ohnehin unwirksam sind. Wenn es nue jeder befolgen würde! Aber ich glaube, wir sind nicht mehr zu retten. Munter werden Bilder verbreitet von Menschemassen am Viktualienmarkt, der neueste Hashtag lautet CoronaParty. War bislang glutenfreie Ernährung der neueste Hype, werden nun palettenweise Nudeln und Mehl gehortet. Wofür eigentlich das ganze Mehl? Meine schlaue Freundin meinte zum Mehlschneiden, einem Spiel gegen Langeweile, wie ich gelernt habe. Ich bin eher bösartig und überlege, ob die Menschen vielleicht Mehl als Kokain-Ersatz nutzen und eine Linie durch die Nase ziehen. Das würde erklären, warum der eine oder andere sich scheinbar ein wenig schwer tut mit dem Denken derzeit.

Wenn wir nicht endlich mal das tun, was wir sollen, nämlich den Empfehlungen folgen und unser Sozialverhalten anpassen, werden wir schneller als uns lieb ist, auch in unseren Städten gähnende Leere erfahren. Unsere Politik ist konsequent genug gewesen, den Katastrophenfall auszulösen. Wenn wir nicht selbst vernünftig werden, wird die Ausgangssperre unvermeidbar sein. Mein Appell an alle: Hirn einschalten und bitte ein erwachsenes Verhalten an den Tag legen, das Rücksicht nimmt auf andere und nicht nur darauf ausgelegt ist, für sich selbst das Beste rauszuholen. Dann, dann bin ich auch zuversichtlich, dass wir vielleicht doch noch zu retten sind!

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