Inklusion (lat.: "Miteinbezogensein", "dazu gehören") im Jahr 2023 in Deutschland

Es ist Fasching. Fasching ist so gar nichts für mich, aber sowohl hier im Ort als auch in einem der Nachbarorte gibt es wirklich schrille Faschingsumzüge. Im Nachbarort ist die Burschengemeinschaft Garant für laute Musik, bei uns im Ort ist es die Blaskapelle. Laute Musik ist genau das Richtige für unsere Hummel. also sind wir natürlich bei beiden Umzügen dabei. Gut, der Papa muss auch ein wenig dort arbeiten, aber sei es drum, wir könnten ja auch daheim bleiben.

In diesem Jahr war unsere Hummel eine kleine Hexe. So eine niedliche kleine Hexe war sie. Mit Hut und Hexenbesen. Nicht, weil sie das unbedingt sein wollte, sondern weil es zum diesjährigen Motto in der Schule passte.


Letzten Freitag ging es schon los mit der Feier in der Schule. Da hat sie einen Hexentanz mit aufgeführt und anschließend war Party. Scheinbar hatte sie Spaß, daheim war sie dann eher so mäßig gelaunt. Für beide Faschingsumzüge ging es ihr zum Glück gut genug, dass wir unsere Teilnahme wagen konnten. Sogar ihren Hexenhut hat sie tapfer getragen.

Beide Orte gehören definitiv zu meiner Komfortzone. Wir kennen überall ganz liebe Menschen, die ganz selbstverständlich mit uns umgehen. Ich fühle mich herzlich willkommen. Aber bei beiden Veranstaltungen hatte ich in diesem Jahr ein ganz klein wenig zu knabbern. Vermutlich war es der Abstinenz durch Corona geschuldet, dass ich Menschenansammlungen nicht mehr gewohnt bin und dass Menschenansammlungen uns nicht mehr gewohnt sind.

Kinder im Alter unserer Hummel oder jünger zu beobachten, wie sie Spaß haben an ihrer Verkleidung, wie stolz sie sind in ihren Kostümen, hat mir seltsamerweise einen Stich in die Magengrube versetzt. Wir wissen nie, ob unsere Hummel sich überhaupt verkleiden mag. Ob sie einverstanden ist, mit den Kostümen, die wir bislang ausgewählt haben für sie. Für uns ist das Kriterium ja immer: Funktioniert es mit Sondieren und können wir draußen noch irgendwas Warmes drunter ziehen? Und natürlich muss es zum Motto der Schule passen. Aber ob sie das möchte, das kann sie uns leider nicht sagen. In diesem Jahr hat es mir komischerweise etwas ausgemacht.

Die anderen Kinder dabei zu beobachten, wie sie aufgeregt nach den Kaubonbons und Lutschern tauchen, die massenweise in die Menge geworfen werden, war rührend, aber auch schwierig für mich. So ausgelassen ist unsere Hummel natürlich nie. Und mit Süßigkeiten kann sie so gar nichts anfangen.

Dass manche Kinder vermutlich noch nie in ihrem Leben ein Kind im Rollstuhl gesehen haben, wurde mir auch schmerzlich bewusst. Natürlich sind wir regelmäßig zu Spaziergängen unterwegs, aber wir können mit unserer Tochter nicht einkaufen gehen, in keine Arztpraxis, nicht in die Apotheke und ihre Förderschule ist auch einige Kilometer entfernt. Der Bus dahin holt sie direkt vor unserer Haustüre ab. Wir sind nicht unbedingt dort präsent, wo andere Kinder sich regelmäßig aufhalten.

Nein, ich kann den Kindern nicht verdenken, dass der Anblick eines unbeteiligt wirkenden Kindes befremdlich ist, das immer wieder zuckt und so gar nicht auf vorbeilaufende Menschen reagiert. Was wissen die Kinder schon von epileptischen Anfällen und Dystonien? Was wissen sie von Hör- und Sehbehinderungen? Natürlich zeigen sie mit dem Finger auf sie und fragen ihre Eltern, was die da hat. Natürlich stehen sie da und starren sie an mit herunterhängenden Mundwinkeln, weil ihnen suspekt ist, wie unsere Hummel ist. Nicht, dass mich jemand falsch versteht, ich verurteile das nicht, ich stelle das lediglich fest, ohne es zu werten. Aber ich nehme es natürlich wahr.

Freilich könnte ich jetzt mehr als nur dastehen und gewinnend lächeln, während ich mir meinen kleinen Kloß im Hals verdrücke. Ich könnte auf die Kinder zugehen, irgendwas Nettes sagen wie "das ist die Katharina, die kann leider nicht so laufen wie Du und hören und sehen tut sie auch ganz schlecht, drum reagiert sie jetzt nicht auf Dich. Wie heißt Du denn? Sicher freut sie sich, wenn Du trotzdem hallo sagst.". Könnte ich natürlich machen. Und mach ich auch manchmal, wenn die Situation passt. Das sind dann auch schöne Begegnungen. Aber zum Faschingsumzug, wenn rundrum Gaudi angesagt ist, ist das einfach nicht passend.

Also sag ich nichts und lächle weiter. Möglichst gewinnend, möglichst beruhigend. Als der Zug sich in Bewegung gesetzt hatte, konnte ich meine Hummel davon überzeugen, mit mir gemeinsam den Gruppen zuzuwinken. Möglicherweise hatte sie ein wenig Spaß. Das wissen wir nicht so genau. Und ja, alle Gruppen waren wirklich lieb und haben zurück gewunken. Man kennt uns ja auch. 

Nur die Kinder, die wurden gar nicht warm mit dem zuckenden Kind im gelben Rollstuhl. In solchen Situationen wird mir immer wieder bewusst, dass Inklusion in unserer Gesellschaft wirklich noch nicht sehr selbstverständlich angekommen ist. So lange Kinder in Schockstarre geraten bei "so einem" Anblick, so lange weiß ich, wir haben noch einen langen Weg, bis wir "dazu gehören". Solange Kinder nicht regelmäßig Kontakt mit dem Anderen pflegen dürfen, solange Kindern nicht ganz einfach erklärt wird, dass es Menschen gibt, die manche Dinge nicht oder nicht gut können und daher Hilfsmittel brauchen, solange wird das nix mit der Inklusion. Dabei wäre es so einfach. In unserem direkten Umfeld ist das völlig normal. Klar, die Kinder sind miteinander aufgewachsen. Die Nachbarsmädchen stören sich nicht daran, dass unsere Prinzessin nie etwas sagt. Begrüßungen finden statt, indem man ihr die Hand streichelt oder das Bein - je nachdem wie groß die Kinder sind. Und an guten Tagen gehen dann die Hände unserer Hummel auf, ein kleines Grinsen macht sich breit und wir wissen, sie freut sich auch über die Begegnung. 

Es geht nicht um ein Playdate oder um eine Pyjama-Party. Das würde nicht funktionieren und solche Aktionen würden alle Beteiligten einfach nur überfordern und stressen. Aber ein selbstverständliches aufeinander zugehen, ein Lächeln, eine ganz normale Begegnung, das würde ich mir für unser Kind doch irgendwie wünschen. Und für mich. Vielleicht würde ich dann auch endlich aufhören, in solchen Situationen das Kind zu beweinen, dass ich nicht habe. So ein unbeschwertes, Bonbon sammelndes, ausgelassenes, freches Mädel, das total gerne mal Prinzessin wäre. Oder Feuerwehrfrau. Oder vielleicht doch ganz einfach wieder eine Hummel?

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Nicht ganz dicht, oder?

Wenn das Sterben zum Leben gehört

Urlaub im Sternenzelt