Arbeiten ist ein Privileg?
Gerade in den letzten Tagen habe ich in den sozialen Medien immer wieder gelesen, dass es vor allem für pflegende Mütter ein Privileg ist, wenn sie berufstätig sein können. Offen gestanden, bin ich immer weniger gewillt, diese Aussage zu akzeptieren und ich begründe gerne, warum mich das zunehmend stört.
Ich bin Jahrgang 1973. Meine Mutter hat nach meiner Geburt ihren Beruf aufgegeben und war Vollzeithausfrau. Eine von den ganz perfekten Hausfrauen, wie es einige im Westen gab. Das funktionierte gut, weil sie das freiwillig so entschieden hat, ihr Beruf hat ihr nicht sonderlich gefehlt. Sie war gelernte Damenschneiderin und hat halt "einfach so" für die Familie genäht. Mein Vater konnte als Polizeibeamter unsere kleine Familie als Alleinverdiener gut ernähren. Das war damals so. Dennoch war immer klar, dass ich einen Beruf erlernen und auch ausüben würde.
Mein Abitur hab ich 1992 gemacht und in meinem Gymnasium war eigentlich nicht die Frage "was machst Du nach dem Abi?" sondern "was studierst Du denn nach dem Abi?". So wurde ich ein wenig belächelt, als ich relativ rasch, nämlich noch im ersten Semester, beschlossen hatte, das mit der Uni bleiben zu lassen. Nach meinem sozialen Jahr in einem 7-Tages-Internat für köperbehinderte Kinder und Jugendliche habe ich meine Ausbildung beim Freistaat Bayern begonnen. Als Beamtin. Belächelt wurde ich nicht nur, weil jeder der Ansicht war, das wäre ja geistig nicht fordernd, sondern auch weil es natürlich finanziell eher überschaubar war. Erschwerend kam hinzu, dass ich für München eingestellt wurde und München ist teuer. Sehr teuer.
Meinen Tanzkurs, den ich mir unbedingt eingebildet hatte, nachdem ich 1996 fix und fertige Verwaltungsbeamtin war, konnte ich mir auf Dauer nur leisten, wenn ich zusätzlich gearbeitet habe. War kein Problem. Zu den 42 Wochenstunden in meinem Hauptberuf hab ich halt noch im Service und als Assistentin gearbeitet. Später war ich an zwei Wochenenden im Monat Freitag bis Sonntag Kassenkraft in der Therme um dann an drei Wochenenden im Monat Samstag und Sonntag als Springerin in diversen Läden am Flughafen zu arbeiten. Dadurch war regelmäßig Urlaub drin und ich konnte noch ein wenig ansparen. Was für ein Glück!
Als ich 2009 meinen Mann geheiratet habe, haben wir beschlossen ein Haus zu bauen. Die Finanzierung war darauf ausgelegt, dass er weiterhin Vollzeit als Motorjournalist arbeiten würde. Die Welt bereisen, Autos testen und darüber schreiben. Ich dagegen wollte, sollten wir wirklich ein Kind bekommen, von meiner Vollzeitstelle weg, hin zu einer Teilzeitstelle wandern, so mit etwa 30 Wochenstunden. Das war unser schöner Plan. Im Dezember 2010 war mir schon klar, dass der gewaltig ins Wanken geraten könnte.
Ein so schwer beeinträchtigtes Kind wie unseres, wurde in keiner Kita aufgenommen, so dass ich drei Jahre Elternzeit nehmen MUSSTE. Ich wollte gerne einen Tag die Woche arbeiten, denn schnell war klar, meine Ersparnisse sind bald aufgebraucht, da mich keiner vorgewarnt hatte, dass die private Krankenversicherung ja einfach mal weiterläuft ohne Gehalt und es weitere Ausgaben gibt, die so gar nicht eingeplant waren. Ich hätte einen Tag arbeiten können, aber nur vor Ort. Das wiederum war unmöglich wegen des fehlenden Kitaplatzes. Das erste Mal, dass ich das Prinzip von Katze und Schwanz verstanden hatte.
Es ist uns gelungen, dass unsere Hummel bereits im September 2013 mit dem Kindergarten beginnen konnte. Wir haben sie eingewöhnt, sie war krank, weiter eingewöhnt, Krankenhaus, das fing ja gut an. Als ich im November 2013 wieder mit 19 Wochenstunden, verteilt auf vier Tage in meinem Beruf eingestiegen bin, durfte ich an drei Tagen im Homeoffice arbeiten. Das war damals noch eine Sensation. Nur mit sozialen Gründen war das erlaubt und mindestens ein Tag in der Woche musste im Büro abgeleistet werden. Ein Kind mit dem höchsten Pflegegrad ist sozialer Grund genug und irgendwie ging das auch die ersten Jahre einigermaßen gut. Leider nur einigermaßen.
Mein Mann, der nach wie vor Vollzeit als Motorjournalist gearbeitet hat, musste ein paar Mal früher nach Hause kommen, weil die Hummel schwer krank wurde, die Epilepsie aus dem Ruder geriet etc. Irgendwann war es nicht mehr tragbar und er musste kündigen. Ein halbes Jahr lang hat er versucht, wieder eine Anstellung zu finden, die besser zu unserem Leben als pflegendes Elternpaar passen würde. Fehlanzeige.
Schließlich machte er sich selbständig und arbeitet seitdem als freier Journalist. Ich hab um zwei Stunden aufgestockt, als klar war, er findet keine Anstellung und hab irgendwann mein Steckenpferd zum Nebenberuf gemacht. Jetzt bin ich Verwaltungsbeamtin, Ernährungsberaterin und Fachkraft für Prävention. Nichts davon macht uns reich. Leider. Ich bringe es nicht übers Herz, richtig viel Geld zu verlangen, weil ich ja weiß, dass pflegende Eltern, mein Hauptklientel, kein Geld haben. Und als freier Journalist verdient man jetzt nicht grad wie Krösus. Wir haben unser Auskommen und können unseren täglichen Lebensunterhalt gut bestreiten. Unser Finanzplan fußt auf mehreren Beinen und das klappt wirklich ganz gut.
In letzter Zeit können wir wegen der über weiten Teilen weggebrochenen Betreuung unserer Tochter, noch weniger arbeiten, aber wir machen, was wir können. Das ist selbstverständlich und das machen wir gut und das funktioniert erstaunlich stabil.
Inzwischen belächelt mich natürlich niemand mehr, weil ich als Beamtin arbeite. Plötzlich ist es ein Privileg, weil ich ja so arbeiten kann wie ich arbeite. Ob mein Mann seine aktuelle Arbeit als Privileg ansieht - ich bin nicht sicher. Früher war er mehrfach im Monat im Ausland, hat die Welt bereist, konnte jeden Männertraum fahren und heute - naja, die Jahreshauptversammlung vom Kaninchenzüchterverein muss halt auch jemand journalistisch begleiten. Ich fürchte, ganz so spannend wie der Test eines Lamborghinis oder Maibachs ist es nicht unbedingt.
Wir haben Glück, das sehe ich. Wir haben das Glück, ausgerechnet solche Berufe gewählt oder uns gesucht zu haben, bei denen wir relativ flexibel arbeiten und trotzdem unsere Hummel bestens versorgen können. Aber ist diese Selbstverständlichkeit, die es wäre, wäre unsere Tochter kerngesund, wirklich und wahrhaftig ein Privileg? Ich weigere mich, das so zu sehen.
Wenn wir das als Privileg anerkennen, muss die Gesellschaft ja nie etwas ändern. Es muss sich nichts an Betreuungsstrukturen ändern, nichts am Gesundheitswesen und auch nicht an der Frage, ob pflegende Angehörige für ihre Pflegeleistung nicht doch entlohnt werden sollten.
Wenn wir immer wieder betonen, dass Erwerbstätigkeit als Pflegeperson ein Privileg ist, grenzen wir uns selber aus. Wir provozieren, dankbar sein zu müssen und ganz ehrlich: Ich hab keine Lust mehr, für jeden Pups dankbar zu sein.
Ich bin aktuell fast 52 Jahre alt und habe in meinem Leben wirklich eine Menge geleistet. Ich darf Ansprüche haben, ich darf Erwartungen hegen, ich muss nicht immer und für alles und jeden dankbar sein. Und Arbeit sollte das sein, was es 1996 für mich war: Eine Selbstverständlichkeit. Kein Mensch wäre damals auf die Idee gekommen, ich könnte es auch bleiben lassen, weil ich als Frau ja ohnehin heirate, mich von meinem Mann versorgen lasse während ich die Kinder großziehe und mich um den Haushalt kümmere. 1996 waren wir fast 50 Jahre von dem Familienmodell entfernt und ich weigere mich einfach, weitere mehr als 50 Jahre später wieder damit anzufangen.
Daher nein. Arbeiten ist kein Privileg. Es ist mein gutes Recht - auch und gerade als pflegende Mutter!
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