Muttertag

Es ist Montag Abend und die Windel ist leider mal wieder explodiert. So richtig. Stuhl quillt an den Beinen auf die Hose durch. Blöd gelaufen, aber kann man nix machen. Ich schnapp mir also meine Tochter, lege Handtuch, Waschlappen und Einmalunterlage bereit und beginne mit der Generalsäuberung. Mein Mann hat heute Abend einen Termin, daher muss ich gut vorbereiten. Ich bin geübt, das ist überhaupt kein Problem. Nicht für mich. Aber für meine 13Jährige. Was an der Aktion so besonders schlimm für sie ist, erschließt sich mir nicht. Sie HASST es, wenn die Windel voll ist, also eigentlich müsste sie froh sein, dass ich das Dilemma behebe. Es ist warm, das Wasser hat angenehme Temperatur und ich muss keine Hektik verbreiten, es geht in aller Ruhe. Trotzdem dreht sie frei. Sie brüllt und tobt und ist völlig außer sich. Es wird anstrengend, weil ich sie schnell auf die Badeliege verfrachtet hatte und mich nun bücken muss. Mir tut alles weh, das macht die Aktion langsam unangenehm. Schließlich sind wir fertig und jetzt kommt der vermeintlich angenehme Teil mit einölen und cremen. Es soll allerdings noch einige Zeit dauern, bis sie sich wieder beruhigen kann. Sie zeigt mir grade sehr deutlich, was sie von mir und meiner Aktion hält: Nix! Und da gibt es mir wieder diesen Stich, denn gestern war Muttertag.


Wie in jedem Jahr wurde in der Schule meiner Tochter gebastelt. Zum Vatertag gab es einen selbst gestalteten Flaschenöffner und zum Muttertag gab es eine Fülle. Es gab Herzen in allen Variationen. Auf einem Stein, als Holzverzierung auf Karten mit entsprechenden Texten. Ich hasse diesen Muttertag aus tiefster Seele. Meine Tochter weiß vermutlich nicht, dass Muttertag ist, also hat die Pflegekraft ihr beim Überreichen einer Karte geholfen, den Rest, der aus der Schule mitkam, hab ich mir selbst genommen. Natürlich hab ich mich bedankt bei ihr für ihre Mühe. Sie hat keine Miene dazu verzogen. Ob sie überhaupt verstanden hat, was ich sage und worum es geht, weiß ich nicht. Aber ich fürchte, sie versteht auch die Texte nicht, unter denen ihr Name steht, mit denen sie sich bei mir bedankt für Alles.

Ich hasse diesen Muttertag, weil er mir zeigt, wie fremdbestimmt mein Kind ist. Sie hat überhaupt keine Wahl und in den meisten Fällen sind die Geschenke, die sie basteln muss, fast perfekt. Sie kann das selbst niemals so akkurat. Vollkommen unmöglich. Ich hab auch schon mit ihr gebastelt, gebacken, geschrieben, gemalt, es wird nie perfekt, man sieht immer, dass sie hier und da mal ihre Hand wegzieht, dass sie irgendwann keine Lust mehr hat. Nicht so bei den Muttertagsgeschenken. Die sind so perfekt wie meine Tochter niemals sein wird und noch nie war. Und genau das muss sie ja auch gar nicht. Ich erwarte das nicht. Ich erwarte gar nichts zum Muttertag. Sie wird nicht gefragt. Vielleicht möchte sie mir einfach sagen "blöde Kuh, Du nervst mich". Kann sie nicht. Diese Option steht allerdings auch gar nicht zur Wahl. Sie muss sich bei mir bedanken.

Klar, alle Kinder basteln zum Muttertag in Kindergarten und Schule. In der Regel sind das aber nur die ersten Jahre. Nicht mehr, wenn die Kinder 13 Jahre alt sind. Da schreibt ihnen niemand mehr vor, dass sie irgendwas zum Muttertag schenken müssen. Entweder entscheidet man in dem Alter selbständig, dass man das möchte oder lässt es bleiben. Und genau diese Wahl hat meine Tochter nicht. Trotzdem hab ich wie jedes Jahr blumige Worte "von ihr" gelesen. Und heute, als ich sie duschen muss, da kann sie mir zeigen, was sie wirklich denkt und fühlt. Heute dreht sie durch und boxt mich weg. Da ist nichts übrig von "Danke für Alles, was Du täglich für mich tust."

Vielleicht hat sie ja gar keine Lust, mir irgendwas zum Muttertag zu schenken. Vielleicht weiß sie ja, dass ich diesen Muttertag nicht leiden kann. Das hat in meiner Familie Tradition. Vermutlich entspringt meine Abneigung einfach einem langen Erbe. Meine Mutter kann den Tag nicht leiden und ihre Mutter hat ihn auch schon gehasst. Als Kind und Jugendliche hab ich das nicht so recht verstanden. "Sei bitte das Jahr über anständig mir gegenüber, darüber freue ich mich. Ich möchte aber nicht an diesem einen Tag geehrt werden" hat meine Mutter immer gesagt. Jetzt versteh ich sie. 

Es ist gut gemeint von denen, die sich Gedanken machen, was man schenken könnte, die sich die Mühe machen, diese Ideen auch mit den Kindern umzusetzen, auch mit einem unselbständigen Kind wie meinem. Aber sie müsste doch gar nicht und vielleicht möchte sie gar nicht und vor allem sollte sie doch ganz unperfekt sein dürfen. Ich erwarte nichts. Eines Tages werde ich auch nichts mehr bekommen. Nicht, weil sich jemand meiner Abneigung erbarmt, sondern weil sie nicht mehr sein wird. Vermutlich werde ich dann den Muttertag erst recht hassen. Aber wer weiß. Vielleicht setze ich mich dann auch mit all den Muttertagsherzen, die ich bis dahin bekommen habe in allen Variationen an ihr Grab und freu mich an den Erinnerungen. Keine Ahnung, was dann sein wird. Für den Moment bin ich froh, dass wieder ein Jahr Pause ist mit der Dankbarkeit, die bereits nach kurzer Zeit in echte Wut gewandelt werden kann, dem wahren Gefühl meiner Tochter. Der gestrige Tag an sich war übrigens recht schön. Gestern war Duschen prima und ihre Laune war ganz gut. Es ging ihr nicht schlecht und sie hat sogar ein paar Mal gegrinst und es war ein ganz warmer Tag. DAS hat mir gut getan und DAS hab ich genossen. Aber das genieße ich auch sehr, wenn es außerhalb des Muttertags passiert. O je - werde ich jetzt meiner eigenen Mutter ähnlich?

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