Diagnose: (Infantile) Zerebralparese
Zu einer Zerebralparese kann es vor, während oder nach der Geburt kommen. Sauerstoffmangel oder Unterversorgung vor oder während der Geburt sind ursächlich, selten auch nach der Geburt. Auch nach der Geburt durch Ertrinkungs- oder Erstickungsunfälle, plötzlichen Kindstod oder ähnliches oder auch durch äußere Einwirkungen wie Gehirnblutungen oder allgemein Verletzungen am Gehirn. Frühgeborene sind beispielsweise häufig von Einblutungen im Gehirn betroffen. Ein Sauerstoffmangel während der Geburt betrifft etwa zwei bis vier von 1000 Kindern. Er war bei z wie Kindern in unserer Gruppe Ursache für die Zerebralparese bei einem Kind trat er etwa zwei Stunden nach der Geburt auf.
Je nach Ausprägung und Ort der Gehirnschädigung ist auch die
daraus resultierende Behinderung unterschiedlich stark ausgeprägt.
(Quelle: Is
Cerebral Palsy Reversible? Know the facts - Apollo Hospitals Blog
(askapollo.com))
Es gibt verschiedene Arten von Zerebralparesen, unter anderem
Spastiken, Dyskinesien, Ataxie, Dystonie oder eine Mischform. Allen gemeinsam
ist eine eingeschränkte Steuerung der Muskulatur. Die Kinder in unserer Gruppe
sind betroffen von einer spastisch dystonen Mischform, bzw. Dyskinesien.
Der Schweregrad der Zerebralparese wird nach einer so
genannten gmfcs Skala eingeteilt. Dort werden verschiedene Level unterschieden
von 1 bis 5
(Quelle: Die
Anwendung der ICF-CY in der Hilfsmittelversorgung für Kinder - Orthopädie
Technik (360-ot.de))
Je nach Art und Schwere der Zerebralparese kann bei den
Patienten beispielsweise nur eine Körperhälfte betroffen sein (Hemiparese), nur
die Beine (Diparese) oder alle vier Extremitäten (Tetraparese). Mit zunehmendem
Lebensalter kann es durch die muskuläre Dysbalance (Spastik) zu Verformungen
der Wirbelsäule und der Gelenke kommen (Skoliose, Kontrakturen).
Kontinuierliche Physiotherapie und tägliche Bewegungsübungen sind für die
Vorsorge daher unerlässlich genau wie Orthesen, Korsettversorgung etc. So kann
sichergestellt werden, dass das Kind beweglich bleibt und Bewegungsabläufe
angebahnt werden.
Kinder mit Gehirnschädigungen sind häufig von Epilepsie
betroffen. Die Epilepsie kann direkt nach dem Ereignis, der Verletzung
auftreten oder auch erst später. Die Formen der Epilepsie sind vielfältig und
können mit unterschiedlichen Medikamenten und Kombinationen mehrerer
Medikamente mit unterschiedlichem Erfolg behandelt werden. Zum Thema Epilepsie
wird es einen eigenen Beitrag geben.
Kinder mit Zerebralparese können mehr oder weniger stark
geistig eingeschränkt sein. Es gibt körperlich schwer betroffene Kinder, die
geistig sehr fit sind, aber auch körperlich leicht betroffene Kinder, die sehr
stark geistig eingeschränkt sind. Auch Kinder mit Teilleistungsschwächen,
beispielsweise im mathematischen Sektor, gibt es.
Teilweise zeigen Kinder mit Gehirnverletzungen auffällige
Verhaltensmuster wie ADHS oder Tendenzen zum Autismus.
Die Zerebralparese kann sich auch auf das Schlucken, das
Sprechen und die Funktionalität der inneren Organe auswirken. Beispielsweise
kann der Magen-Darm-Trakt von Spastiken betroffen sein, was zu Erbrechen führen
kann oder zu verlangsamter Aufnahme und Aufspaltung der Nahrung.
Das Schlucken kann mehr oder weniger stark eingeschränkt
sein, das bedeutet dass der Schluckreflex verlangsamt sein kann oder nahezu gar
nicht vorhanden ist. Flüssigkeiten dürfen wegen der Aspirationsgefahr in diesen
Fällen nicht angeboten werden, da sie nicht abgeschluckt werden können.
Manchmal ist es den Kindern möglich, breiige Kost zu sich zu nehmen, häufig ist
auch das Kauen eingeschränkt, so dass stückige Nahrung nicht verzehrt werden
kann. Zum Sprechen ist genau wie zum Essen eine fein abgestimmte Mundmotorik
erforderlich, daher ist durch das Fehlen selbiger die Sprache oft verwaschen
und schwer verständlich, die Artikulation ist sehr mühsam für die Patienten.
Kinder mit Zerebralparese haben daher einen sehr hohen Bedarf an logopädischer
Therapie, sowohl was den Spracherwerb und -gebrauch angeht als auch die
Schluckfähigkeit.
Bei manchen Kindern bleibt der Lautspracherwerb komplett
aus, diese Kinder können sich aber unter Umständen gut mit unterstützter
Kommunikation verständigen, beispielsweise über Bildkarten, Kommunikationsbücher,
Talker, Tablets mit entsprechenden Programmen, über Gebärden und
gebärdengestützte Kommunikation oder auch über Computer mit Augensteuerung.
Je nach Schweregrad kann die Zerebralparese direkt nach der
Geburt auffallen oder erst später, wenn sich Entwicklungsverzögerungen zeigen.
Freies Sitzen fehlt zum Beispiel oder es kommt zu Asymmetrien beim Krabbeln.
Die Entwicklung von Kindern mit Zerebralparesen ist schwer
vorherzusehen. Manche Kinder schaffen es irgendwann, frei zu laufen, häufig mit
Hilfe von Unterschenkelorthesen. Andere Kinder bewegen sich mit Hilfe eines
Rollators oder eines Walkers fort oder im Rollstuhl. Es gibt Kinder, die nicht
frei sitzen können und nicht in der Lage sind, selbst einen Rollstuhl
anzutreiben, anderen wird sogar Kopfkontrolle zeitlebens schwer fallen bis
unmöglich sein. Es gibt auch Fälle, die dauerhaft eine Atemunterstützung
benötigen.
Bei Menschen mit Gehirnschädigungen kann es auch zur Störung
des Tag-Nacht-Rhythmus kommen. Viele Kinder schlafen daher nicht gut durch.
Eine medikamentöse Unterstützung ist in diesen Fällen durchaus möglich. Auch
ein gesteigertes Ruhebedürfnis ist häufig zu beobachten.
Bei den Kindern in unserer Gruppe liegt in einem Fall eine
Tetraparese mit spastisch dystonischer Bewegungsstörung und einer
Schluckstörung vor. Dieses Kind ist klassifiziert in gmfcs Level 5 und hat
wenig Kontrolle über die Handmotorik. Das Mädchen kann im Alter von knapp fünf
Jahren nicht frei sitzen, kann sich jedoch durch Rollen fortbewegen. Ein
anderes, ebenfalls fünf Jahre altes Mädchen, ist in der Lage sich außerdem zu
drehen und durch Schiebebewegungen fortzubewegen. Eines der Mädchen kann sich
kurze Zeit in den Zwischenfersensitz aufrichten. Die andere Fünfjährige kann
eine Weile vor einer Couch sitzen, nachdem sie sich selbst von selbiger
heruntergeschoben hat. Die Mädchen konnten nicht gestillt werden, haben nie aus
der Flasche getrunken, sondern wurden seit Geburt durch eine Magensonde
ernährt. Seit Kurzem beginnt ein Mädchen, breiige Nahrung zu sich zu nehmen.
Die Aufnahme der Nahrung über eine Spritze fällt ihr dabei leichter als vom
Löffel.
Dieses Mädchen hat wenig Pflegebedarf was Absaugen oder eine
dauerhafte Herz-Kreislauf-Überwachung angeht, ist allerdings inkontinent und 24
Stunden auf Windeln angewiesen. Mit Hilfe eines Walkers ist sie in der Lage,
kurze Strecken zu gehen. Im übrigen ist sie ein ganz normales Kind mit starkem
Willen, das beispielsweise auf einem Spielplatz all das machen möchte, was die
anderen Kinder auch machen. Ihre Mama findet sich daher auf der Rutsche, dem
Trampolin, der Schaukel oder auch dem Klettergerüst zusammen mit ihr wieder.
Mit einem analogen Kommunikationsbuch und dem sogenannten
Partnerscanning, bei dem Symbole gemeinsam angesteuert werden, zum Teil auch
mit Augensteuerung ist die Kommunikation mit diesem Mädchen möglich. Die
selbständige Bedienung des iPad mit entsprechenden Programmen ist wegen der
nicht ausreichenden Handmotorik noch nicht gut möglich, Fortschritte sind
allerdings sichtbar und werden trainiert. Das andere Mädchen kommuniziert durch
Mimik, Laute, Zeigen mit den Augen, auch auf Bild- oder Symbolkarten und
ebenfalls Augensteuerung. Hier sind Fortschritte zu erkennen.
Dieses Mädchen ist meist ein sehr fröhliches Kind, das Musik
und Bewegung mag, gern schwimmt und generell gerne im Wasser spielt. Die
Familie ist häufig mit dem Wohnwagen unterwegs, die Tochter kann in einem
speziellen Fahrradanhänger an Radtouren gut teilnehmen.
Bedingt durch die Gehirnverletzung nimmt sie ihre Umgebungen
oft anders wahr als andere Menschen, was zu spontanen Gefühlsausbrüchen und
Angst führen kann, die von Außenstehenden nicht benannt und auch nicht
gelindert werden können. Manche wiederkehrende Situationen konnten durch
jahrelange Übung erlernt und dadurch erträglich gemacht werden. Das zweite
Mädchen zeichnet sich durch eine ausgeprägte Beobachtungsgabe aus und ihren
Orientierungssinn. Sie ist sehr wissbegierig. Ihre Gefühlsausbrüche sind in der
Regel positiver Natur, selten ist jedoch auch scheinbar grundloses Weinen zu
beobachten.
Die Mutter eines der Mädchen geht davon aus, dass die
intensivmedizinische Behandlung nach der Geburt ein Trauma hinterlassen hat und
dafür verantwortlich ist, dass auch heute noch extreme Angst vor Arzt-,
Therapiepraxen und Situationen besteht, die an Arztbesuche erinnern.
Das dritte Mädchen, bei dem der Sauerstoffmangel erst zwei
Stunden nach der Geburt aufgetreten ist, ist in gmfcs Level 4 eingeteilt. Das
Mädchen ist in der Lage sich wie ein Häschen mit Hüpfbewegungen fortzubewegen.
Sie steht mit Orthesen an einem Gegenstand und leichter Unterstützung, dorsal
geführtes Gehen ist ihr möglich. Wenn eine Begleitperson neben ihr sitzt, ist
inzwischen gutes Sitzen in einem normalen Stuhl möglich, freies Sitzen im
Zwischenfersensitz ist unproblematisch. Mit Hilfe eines NF-Walkers kann das
Mädel lange Strecken zurücklegen und mittels Rollstuhl auch kurze Strecken ganz
alleine bewältigen. Dabei kann sie sich drehen, kann zuverlässig bremsen und
beherrscht Einparken in Perfektion! Sie liebt das Leben und ist ein überwiegend
fröhliches Kind mit starkem Willen. Inzwischen ist sie in der Lage selbigen
auch ohne körperlichen Einsatz durchzusetzen. Sie kommuniziert mit Gebärden,
kann auch mit dem Talker umgehen, bevorzugt allerdings die Hände zum Sprechen.
Das Mädel ist geistig fit, versteht alles, liebt Buchstaben
und Sport. Ihre Mutter berichtet von ihrem schrägen Humor und findet ihre
Tochter auch ein wenig schadenfroh.
Unsere drei Mädels sind beste Beispiele dafür, das gleiche
Diagnosen nicht zwangsläufig bedeuten, dass die Kinder sich völlig gleich
entwickeln. Auch bei später erworbenen Zerebralparesen werden Sie selten zwei
Patienten kennenlernen, die exakt gleich sind. Was die drei Lütten aber
definitiv verbindet ist ihre positive Grundstimmung, ihre Energie und ihr eiserner
Wille. Man muss sie einfach ins Herz schließen!
Haben Sie Fragen oder möchten Sie mit einer der Mütter oder
allen Müttern Kontakt aufnehmen? Zögern Sie bitte nicht, sich bei mir zu
melden. Bei uns werden Sie geholfen.
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