Buchrezension "Weitertragen" von Kathrin Fezer Schadt und Carolin Erhardt-Seidl

"Weitertragen - Wege nach pränataler Diagnose" ist im März 2018 in der edition riedenburg erschienen unter der ISBN Nummer 978-3-902943-13-2. "Weitertragen" ist ein Begleitbuch für Eltern, Angehörige und Fachpersonal.

Bereits in der Einführung zum Buch machen die Autorinnen deutlich, was genau sie mit diesem Buch bezwecken möchten. Es soll nicht verstanden werden als Anti-Abtreibungsbuch, sondern soll Alternativen diskutieren, die es durchaus nach einer pränatalen Diagnose gibt. Das Buch soll ein Plädoyer sein für eine Aufklärung, die alle Alternativen mit einschließt.

Sehr schön gegliedert ist dieses Buch, sehr verständlich wird medizinisches Fachwissen erklärt. Von einzelnen Diagnosemöglichkeiten und -formen, über die Diagnose, die Entscheidung geht es über das Thema Schwangerschaft zur Geburt. Sternenkinder haben ebenso einen Raum wie Erdenkinder, auch über Folgekinder wird gesprochen. Am Ende des Buches wird eine sehr umfassende Sammlung an Kontaktmöglichkeiten präsentiert, die in der Ausführlichkeit und Fülle sicher ihresgleichen sucht.

"Weitertragen" ist kein leichtes Buch, das meine ich auch wörtlich. Es fiel mir tatsächlich körperlich schwer, es einfach mal so vor dem Einschlafen im Bett zu lesen. Es hat ein angenehmes, aber eben doch etwas größeres Format und ist mit über 330 Seiten ein richtiger Wälzer. Auch inhaltlich behandelt es nicht grade leichte Kost. Die Auseinandersetzung mit einer Pränataldiagnose und der Frage, wie es danach weitergehen kann, liest sich nicht gerade wie ein Roman.

Was das Lesen sehr erleichtert wie ich finde, ist die Tatsache, dass hier nicht harte Fakten aneinander gereiht werden, sondern dass zu jedem Thema auch verschiedene Fachleute und betroffene Eltern zu Wort kommen. Deren Beiträge werden in genau dem richtigen Rahmen und Umfang eingefügt. Die Interviewpartner werden gleich zu Beginn vorgestellt und sind unterteilt in Fachpersonen und Betroffene. Um auf den ersten Blick zu sehen, welche Gruppe wann zu Wort kommt, bedienen sich die Autorinnen zweier verschiedener Icons, die die Interviewpartner kenntlich machen. Der Babybauch steht dabei für die betroffenen Familien, die Lupe fürs Fachpersonal. Wer als selbst Betroffener dieses Buch liest und Gefahr läuft, Interviews von einer der beiden Gruppen als zu emotional zu empfinden, kann so ganz einfach die jeweiligen Bereiche überspringen.

Gut recherchiert finde ich das Werk, auch komplexe Sachverhalte werden verständlich erklärt, man fühlt sich nicht zwangsläufig erschlagen. Dennoch ist es kein Buch, das man auf einen Rutsch lesen kann. Da ich selbst Betroffene bin, habe ich mich immer wieder gefragt, ob mir dieses Buch damals geholfen hätte oder nicht. Für mich bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich es mir durchaus gewünscht hätte, es aber niemals hätte lesen können. Dafür ist es zu dick, zu umfangreich, es hätte mir zu lange gedauert, all das in mir aufzusaugen, von dem ich glaube, es gebraucht zu haben. Ich glaube nicht, dass ich es für mich geschafft hätte, nur die Teile zu lesen, die für mich in der jeweiligen Situation entscheidend und relevant sind. Aber das bin ich. Es gibt mit Sicherheit Eltern, die das gut können oder die selektiv nur Interviews und Fachmeinungen heraus picken können, die sie interessieren und wichtig für sie sind.

Was ich persönlich als ideal empfinden würde, wenn dieses Buch Pflichtlektüre beim Fachpersonal werden würde. Jeder Gynäkologe, jeder Pränataldiagnostiker, jede Hebamme, jede Arzthelferin in einem dieser Bereiche, jede Krankenschwester, die mit betroffenen Eltern zu tun hat, müsste dieses Buch intensiv lesen. Dieses Buch ist ein Segen, denn es ist ehrlich und es beweist, dass eine pränatale Diagnose nicht zwangsläufig bedeuten muss, dass das Leben vorbei ist und das ungeborene Leben beendet werden muss. Wenn Familienmitglieder, die ebenfalls als Betroffene in diesem Buch zu Wort kommen, dieses Werk lesen würden, wäre sehr viel gewonnen. Vielleicht würde mancher besser verstehen, was in Müttern, in Eltern vorgeht, denen von einer Sekunde auf die andere der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Und in dem Moment, in denen dieses Buch Pflichtlektüre bei all denen ist, die mit Schwangeren und irgendwann Betroffenen zu tun haben, wäre es ein Leichtes, wenn die die Betroffenen leiten würden mit dem Buch und in dem Buch. Unter solchen Umständen hätte auch ich von dem Buch in der damaligen Situation profitiert. Wenn mich jemand hätte leiten können.

Aufmerksam wurde ich auf "Weitertragen" weil ich durch ein Internetforum eine ganz liebe Mama kennengelernt hatte, die ebenfalls in diesem Buch zu Wort kommt. Ihre Pränataldiagnose war eine Fehldiagnose und ihr kleines Wunderkind wird morgen schon fünf Jahre alt und ist ein kleines Energiebündel. Vor allem ihren Part zu lesen, war sehr schön und sehr berührend für mich. Ich hatte damals mitverfolgt, wie es ihr ergangen ist und Daumen drücken, mitzittern waren an der Tagesordnung, so war es doch recht emotional, das nochmals zu lesen. Diese Mama hatte mir von dem Buch erzählt und so war mir klar, dass es ein wertvolles Buch sein muss, sonst hätte sie nicht mitgewirkt.

Auch wenn die Zeit des Verlustes meines ersten Kindes und die Zeit der Pränataldiagnose unserer Tochter schon einige Jahre zurück liegen, hat das Buch es geschafft, alle Emotionen wieder zutage zu fördern. Mich aus der Distanz damit zu befassen, hat mir selbst im Nachhinein im Verarbeitungsprozess noch etwas gebracht. Ich möchte das Buch also auch all denen empfehlen, die schon über die Zeit der Diagnose und der ersten Trauer hinweg sind. Es lohnt sich.

Den Autorinnen möchte ich ganz herzlich danken für Ihre Mühen, für ihr fundiertes Zusammentragen an Informationen, für ihre gefühlvolle Zusammensetzung von Inhalten und Interviews. Danke für dieses Buch und danke, dass ich darüber eine Rezension schreiben darf. Ich kann "Weitertragen" wirklich wärmstens empfehlen und die Behutsamkeit, die Wertschätzung und die Achtsamkeit, die aus jeder Zeile sprechen, werden mich noch lange begleiten.




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