Stille Nacht

Weihnachten war schön in diesem Jahr. Wirklich schön. Unsere Prinzessin hatte kein Fieber, es ging ihr gut, sie war wach und hat schon das Warten aufs Christkind ganz bewusst erlebt in diesem Jahr. Ganz aufgeregt war sie und voll dabei, als es ans Geschenke auswickeln ging. Dankbar war ich und da hat es mir fast nichts ausgemacht, dass ich "Nachtdienst" hatte.



Fast, denn irgendwie habe ich in diesem Jahr knabbern müssen - ausgerechnet in diesem Jahr, in dem
es doch so gut ging. Vielleicht lag es daran, dass wir letztes Jahr am 24. Dezember unsere Maus fast verloren hätten. Vielleicht ging mir deshalb Weihnachten heuer so nah. Ich weiß nicht warum, ich weiß nur, dass ich knabbern musste.

Schon im Vorfeld haben wir uns professionell auf Weihnachten vorbereitet. Alle CDs mit Weihnachtsliedern, die ich finden konnte in unserem Haushalt wurden ins Kinderzimmer verbracht und dort haben wir schon seit Wochen tapfer eine CD nach der anderen schmettern lassen. Sehr zur Freude unserer Prinzessin habe ich mitgesungen. Laut und falsch. Grad schön wars. Bei "I'll be home for Christmas" hat es mich zum ersten Mal gerissen. Seit acht Jahren habe ich meine Eltern zu Weihnachten nicht gesehen, war nicht zu Hause. Das macht mir eigentlich nichts aus, aber in diesem Jahr war es irgendwie blöd.

Weihnachten mit unserer Sondenprinzessin ist ein wenig speziell. Trotz aller Besonderheit des Tages müssen wir ja leider unseren Zeitplan einhalten. Medikamente müssen rechtzeitig verabreicht werden, die Inhalationen müssen genau so eingehalten werden wie die Physiotherapie. Auch wenn wir da ein wenig schlampig sind, was muss, muss. Somit sind wir keine guten Gastgeber und Weihnachten bei uns wird für Gäste eher ungemütlich. Wir zu Dritt sind eingespielt und so können wir - wie in diesem Jahr - voll und ganz genießen, dass es ein besonderer Tag ist. Trotzdem  war ich ein wenig traurig. Also wieder nur "in my dreams" daheim. Aber gut. So ist das halt.

Ganz schlimm wurde es dann aber bei "Stille Nacht". Meinem ungetauften Ehemann hab ich noch vorgeschwärmt von der Christmette, bei der die Lichter aus sind und nur die Kerzen am Baum brennen und am Altar, wenn die ganze Gemeinde feierlich "Stille Nacht, Heilige Nacht" anstimmt und der Geist der Weihnacht überspringt. Und dann wurde es traurig für mich. Auch die Christmette hab ich vor acht Jahren das letzte Mal besucht, seitdem ging es nicht mehr. Ein sauerstoffversorgtes Sondenkind mit therapieresistenter Epilepsie um halb elf in die Christmette zu zerren, nur weil die Mama ein feierliches "Stille Nacht" hören möchte, macht keinen Sinn. Kein siebenjähriges Kind wird in der Christmette zu finden sein.

Mit meinem Mann die Mette allein zu besuchen, um ihm endlich zu zeigen, was ich meine, wäre theoretisch eine Option. Ich bin nämlich davon überzeugt, dass es ihm gefallen würde, dass er verstehen würde, was ich meine. Aber wer bleibt dann bei unserer Prinzessin? Wir haben zwar einen Pflegedienst, zwei Pflegedienste um genau zu sein, die einige Nächte im Monat abdecken. Aber nie zu Weihnachten und nie zu Silvester. Dafür ist die Prinzessin wahrscheinlich noch nicht behindert genug, um auch mal an so einem Tag eine Nachtschwester im Haus zu haben. An Feiertagen sind wir alleine. Und also können wir das Haus nicht verlassen, keine Christmette für uns.

Kurz habe ich drüber nachgedacht, wie alt unsere Maus sein müsste, damit ich sie ruhigen Gewissens mit in die Nacht zerren könnte, um den Geist der Weihnacht in der Christmette erleben zu können, bin aber auf keinen grünen Zweig mit meinen Gedanken gekommen. Groß, viel größer müsste sie sein. Aber wird sie das jemals werden? Maximal drei Jahre sollte sie angeblich alt werden, nun ist sie stolze sieben. Wie lange geht das noch gut? Und wenn wir eines Tages die Gelegenheit haben, zu zweit, nur die Erwachsenen, in die Mette zu gehen? Wird es sein, weil wir uns dann für einen Nachtdienst an Heilig Abend qualifizieren durch schlechteren Zustand unserer Maus oder weil sie dann gar nicht mehr bei uns ist? Mir wurde plötzlich schmerzlich bewusst, dass es wahrscheinlich nie wieder eine Christmette für mich geben wird, die ich unbeschwert und voller Freude genießen kann.

Mit solchen Gedanken habe ich also am Heiligen Abend meinen "Nachtdienst" angetreten. Schön war die Nacht, ganz ruhig, der Prinzessin ging es richtig gut. Die Sättigung war bei relativ niedriger Sauerstoffgabe stabil, die Herzfrequenz niedrig. Als wir dann in der Nacht inhaliert haben, und ein wenig Wasser sondiert haben, war die Maus wach und hat mich angestrahlt. Ganz leise hab ich "Stille Nacht, heilige Nacht" für uns beide gesungen. Schön war es. Auch ergreifend, nur Strohsterne haben gefehlt, aber die können wir nächstes Jahr organisieren. Und so hab ich mich dann doch noch über unsere ganz persönliche, stille Nacht freuen können und wir hatten frohe Weihnachten.

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