Diagnose: Zustand von Minimalbewusstsein (nahe Wachkoma)

Wenn das Großhirn nicht mehr funktioniert, das für Denken und Verhalten verantwortlich ist, das Stammhirn jedoch weitgehend verschont ist von Schädigungen, spricht man von einem Zustand sogenannten Wachkomas. Die Abgrenzung zum sogenannten MCS (minmally conscious state) ist nicht ganz einfach. Laienhaft ausgedrückt, spricht man eher von einem MCS, sobald reproduzierbar Verhaltensweisen auffallen, die darauf hindeuten, dass der Patient seine Umwelt wahrnimmt und mehr oder weniger gering darauf reagieren kann. 

Ein im Jahr 2014 geborener Junge aus unserer Gruppe, hat diese Diagnose als Folge einer ganz anderen Erkrankung. Nach einer Pneumokokkensepsis und Meningoenzephalitis mit Pansinusitis und Periorboitalphlegmonen rechts, ist er in diesem Minimal Response State und hat zudem einen Hydrozephalus Internus. Das hört sich reichlich gruselig an, tatsächlich ist er ein ganz reizender Junge.


Die Diagnose musste im Jahr 2015 gestellt werden, was die Familie vor große Herausforderungen gestellt hat. Er kann sich nur per Mimik mitteilen, Schmerzen kann er jedoch gut zeigen. Wegen seiner aufgetretenen Schluckstörung hat er eine Trachealkanüle und eine Magensonde. Er hat eine stark ausgeprägte Epilepsie entwickelt und ist sehr schreckhaft. Beine und Arme kann er nur ungezielt bewegen, seine Arme sind aber sehr viel aktiver als die Beine. Er ist oft müde und benötigt regelmäßige Pausen im Liegen. Fehlende Rumpf- und Kopfkontrolle sowie Spitzfüße machen deutlich, dass er sehr hypoton ist.

Wie bereits angedeutet, gibt es verschiedene Stufen des Wachkomas. Unser Wonneproppen kann schon etwas wahrnehmen und zeigt Reaktionen auf seine Umwelt. Er ist durchaus in der Lage etwas mit seinem Augensteuerungscomputer zu kommunizieren, er liebt snoezelen, Tiere und Musik. Motomed mit Antrieb findet er genau so gut wie seinen Stehständer und zeigt sich als kleine Naschkatze bei kleinen Kostproben für den Geschmack. Er ist ein sehr ausgeglichener und Neuem aufgeschlossener Junge.

Anders als diagnostiziert konnte er nach sechs Monaten von der Beatmung entwöhnt werden und benötigt seitdem keine Beatmung mehr. Teilweise kann er sogar selbständig über die Nase atmen. Alle seine Gelenke sind zum Glück beweglich und nicht steif, von starken Spasmen bleibt er bislang verschont. Er kann nachweislich hören und reagiert auf seine Umwelt. 

Allerdings ist sein Immunsystem leider sehr anfällig. Inzwischen schafft er jedoch viele Infekte sehr gut und auch ohne Krankenhausaufenthalte. Seine Hüfte verschlechtert sich und es steht zu befürchten, dass sie eines Tages luxieren wird. Die Wirbelsäule weist eine leichte Fehlstellung auf, eine Operation kann aber noch gut vermieden werden. Wegen einer Blasenentleerungsstörung muss er regelmäßig katheterisiert werden. Immer wieder ist es auch erforderlich, die Medikamente, die er benötigt, zu überprüfen und neu einzustellen. Seine Nebenschauplätze lesen sich in der Fachsprache nach ganz großem Kino: Symptomatische, therapieresistente Epilepsie, spastische Tetraparese, neurogene Dysphagie, neurogene Blasenentleerungsstörung, auditorische Neuropathie links, sensorische Schwerhörigkeit rechts.

Durch enstprechende Therapien konnte und kann er aber soweit gefördert werden, dass er zeigen kann, was in ihm steckt. Logopädie nach Castillo-Morales, Ergotherapie nach Pörnbacher Konzept, Physiotherapie nach Bobath, Tiergestützte Therapie mit Hund und Pferd, Musiktherapie, Osteopathie, Lymphdrainage, Atemtherapie, Wassertherapie und Aromatherapie sind für ihn eine Wohltat. 

Wenn jemand selbst betroffen ist, könnte die Lumiastiftung eine gute Adresse sein. Dort kann man auch gute Infohefte beziehen.

Die Familie unseres Jungen ist gerne bereit, Kontakt zu anderen, betroffenen Familien herzustellen, wenn das gewünscht ist. In dem Fall mögen sich die Angehörigen von Wachkomapatienten (egal welchen Levels) bitte gerne an mich wenden, ich leite den Kontakt weiter.

Der Rat, den die Familie für andere Betroffene hat ist, den Ärzten nicht immer alles glauben. Viele Prognosen treffen gar nicht ein, weil es schwer vorauszusagen ist, wie die Patienten sich entwickeln werden. Ein gutes Bauchgefühl ist wichtig und auf keinen Fall aufgeben. Ein Rat, der sicher für alle pflegenden Angehörigen gilt: Austausch mit anderen Betroffenen und die eigenen Bedürfnisse nicht vergessen. Auszeiten im Kinderhospiz werden von der Familie als bereichernd empfunden. Die Hoffnung sollte man nie verlieren. 
Einen Buchtipp hat die Mama noch für Betroffene verraten: "Koma - Ein Weg der Liebe" von Amy Mindell, erschienen im Verlag Via Nova (ISBN 3-928632-76-0). Es ist ein Ratgeber für Familie, Freunde und Helfer.

Zuletzt möchte ich mir eine kleine Randbemerkung erlauben als Ernährungsberaterin: Seit längerer Zeit wird der Junge mit Normalkost ernährt, was ihm gut bekommt. Mir ist ein weiterer Fall einer sehr betagten Wachkomapatientin bekannt, die nicht ganz so responsiv war, wie unser Spross. Nachdem ihr nach und nach das Familienessen sondiert wird, hat sie erstens zugenommen und ist tatsächlich auch etwas wacher geworden. Das zu hören, hat mich mächtig beeindruckt, ich wage aber nicht zu behaupten, dass es tatsächlich nur an der Ernährung liegt. Ich wollte lediglich erwähnen, dass es aufgefallen ist.

Habt Ihr Fragen zu unserem Knaben mit Minimalbewusstsein? Meldet Euch gerne bei mir und schaut mal, was er für ein kleiner, großer Genießer ist.



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