Heute klatsche ich für alle pflegenden Eltern, vor allem für die Mütter

Heute Früh bin ich aufgestanden, zehn vor fünf wie jeden Tag und hab eine kurze Übergabe im Flur mit meinem Mann gemacht. Ich hatte Nachtdienst. Den zweiten in Folge, zum ersten Mal wieder seit Corona uns niedergebügelt hatte. Ich wollte sehen, ob es wieder geht, zwei Nächte hintereinander alleine zu stemmen. Ging irgendwie, weil ich nicht darüber nachdenke, ob es geht. Mein Mann hat das Babyphone übernommen, damit ich in Ruhe duschen und mich so zurecht machen kann, dass andere Menschen mich anschauen können ohne sich zu übergeben und danach war ich fast ein wenig stolz, dass ich frisch gekämmt und mit Tagesmakeup pünktlich zum gemeinsamen Wecken der Hummel wieder im Kinderzimmer stand. So um halb sechs. Kurz dachte ich, jetzt müsste jemand applaudieren, dass ich die Energie aufgebracht habe. Aber wer soll das machen? Mein Mann hat selber Applaus verdient, der hat ja schon Medis gerichtet, den Schulrucksack vorbereitet und inhaliert gerade. Und andere pflegende Eltern gehen ja ähnlich auf dem Zahnfleisch, für die müsste ja auch jemand klatschen. Also hab ich beschlossen, dass ich heute mal diejenige bin, die applaudiert. Ich klatsche für alle pflegenden Eltern, vor allem - natürlich weil ich selber eine bin - für die Mütter.

(Bild zeigt Menschen, die in die Hände klatschen. Bildquelle: Jaqueline macon auf pixabay)

Das ist albern? Aber warum? Für die Pflegekräfte wurde doch auch geklatscht um sie wertzuschätzen - übrigens mein neues Reizwort - aber das nur nebenbei. Hat das nicht geklappt? Immerhin gab es für manche zusätzlich einen Lebkuchen, manche durften ein paar Tage mit dem Taxi fahren, manche durften einen eigentlich kostenpflichtigen, nahe gelegenen Parkplatz eine Weile kostenfrei nutzen und manche werden endlich nach Tarif gezahlt. Das Klatschen hat also was bewirkt scheint es. Und wir pflegenden Eltern sind ja auch nichts anderes als Pflegekräfte. Die billigsten Pflegekräfte dieses Landes und wir sind wirklich Viele. Für uns hat sich nichts geändert, für uns klatscht nicht mal jemand, wir gehen ein wenig unter.

Wir können nie krank sein. Das haben wir zuletzt Anfang September gespürt, als wir coronakrank unser coronakrankes Kind versorgt haben. Wir müssen funktionieren, können uns keinen Tag frei nehmen von der Pflege ohne dass es auf Kosten des anderen, pflegenden Elternteils geht. Das geht inzwischen allen pflegenden Eltern so. Wenn wir in unserem Hauptjob - sofern wir einem nachgehen können - Urlaub nehmen, liegt es in der Regel daran, dass kein Pflegedienst verfügbar ist und dann pflegen wir rund um die Uhr in unserem Urlaub. Viele von uns müssen viele Nachtdienste selber stemmen. In den letzten drei Wochen waren es bei uns 18 Nachtdienste, die wir selber übernehmen mussten, auch manche Tagdienste waren nicht besetzt. Wenn pflegende Eltern eines medizinisch komplexen Kindes den Nachtdienst überstanden haben und zwei Stunden Morgenpflege, kann sich kaum einer von uns mal hinlegen und ausruhen. Wir gehen nahtlos unserer Erwerbsarbeit nach, kümmern uns vielleicht noch um vorhandene Geschwisterkinder, machen Haushalt und das Drumrum. Wenn wir nach einem Nachdienst eine Stunde mit dem Auto unterwegs sind, um ins Büro zu fahren, empört das niemanden. Arbeitsschutzgesetze existieren für uns nicht. Ruhezeiten gibt es nicht und wenn, gehen die zu Lasten des jeweils anderen Elternteils, vorausgesetzt es gibt ihn noch, den anderen Elternteil. Die Trennungsrate pflegender Eltern ist hoch. 

Aber wir dürfen nicht klagen, oft haben wir auch nicht mal die Energie dazu. Dass wir dankbar sein müssen, hab ich ja schon mal erwähnt. Dankbar auch für die Dienste, die überhaupt stattfinden. Und auch das geht allen pflegenden Eltern so. Gerade von uns Müttern wird erwartet, dass wir alles klaglos hinnehmen, die Pflege wuppen, das Drumherum organisieren von Rezepten über Termine bis hin zu Therapien. Dabei möchten wir bitte immer wertschätzend (mein "Lieblingswort"!) sein und immer freundlich, lächelnd und gut gelaunt. Ob und wenn überhaupt wie wenig Schlaf wir in einer Nacht abgekriegt haben, ist unerheblich. Wir sollen aus dem Ei gepellt jeden anjubeln. Ob wir Schmerzen haben, noch andere Sorgen, Angststörungen, Depressionen, Panikattacken, Herzbeschwerden, Krebs, Migräne, Grippe, finanzielle Sorgen, existentielle Ängste, Sorge um Geschwisterkinder, Ehepartner, Eltern oder was auch immer, ist nicht wichtig für unser Umfeld. Was registriert wird, wenn wir nicht die Kraft aufbringen übers ganze Gesicht zu strahlen und wortreich Interesse an unserm Gegenüber zu zeigen ist, "die ist wieder muffelig und unfreundlich". 

Ich habe von Müttern gehört, die neue Pflegekräfte eingearbeitet haben, geduldig, lange und ausführlich und beim ersten Infekt des zu pflegenden Kindes wird es zu anstrengend, zu fordernd, dann ist die Pflegekraft wieder weg. Wir Eltern können nicht flüchten. Wir müssen uns dem stellen, was das Leben uns hinwirft. Ich habe von Pflegekräften gehört, die sich gemobbt fühlen, weil die Mutter eines Kindes mit Tracheostoma, das einen heftigen Anfall im Infekt hat, nur noch kurze Anweisungen durch den Raum gerufen hat. Ich glaube, da hätte ich "bitte" und "danke" im Akutfall auch vergessen. Da geht es ja nicht um einen Pickel, da wird es schnell mal lebensbedrohlich. Aber es wird von uns erwartet, dass wir in jeder noch so belastenden Ausnahmesituation perfekt freundlich reagieren und uns immer im Griff haben, egal wie die Tage vorher und die Nächte vorher waren.

Wir lächeln die Erschöpfung manchmal weg, manchmal fehlt uns die Kraft. Was von außen interpretiert wird: Es fehlt die Wertschätzung (hat schon jeder jetzt verstanden glaub ich). Uns fehlt es an Wertschätzung für andere, die uns helfen, mit denen wir zu tun haben. Hm. Dass wir vor allem für die wenigen Pflegekräfte, die doch noch in unseren Familien arbeiten für anständige Arbeitsbedingungen, für frische Handtücher, ein sauberes Umfeld sorgen und hinterherräumen, -wischen, -saugen, - putzen, ist anscheinend keine Wertschätzung, sondern selbstverständlich. 

Das bringt mich zu einer Frage: Wo genau ist eigentlich die Wertschätzung für uns, für uns pflegende Eltern? Und von wem bekommen wir die Wertschätzung? Monetär findet die nicht statt. Weder Pflegegeld noch dieses Landespflegegeld sind ein Ausgleich für die vielen Stunden an Pflege, die wir leisten. Wir müssen einen Teil davon ohnehin dafür einsetzen, Hilfsmittel und anders zu finanzieren, was von der Kasse nicht übernommen wird. Natürlich sind es unsere Kinder und natürlich machen wir das, was wir tun gerne und selbstverständlich für unsere Kinder. Aber wenn ich mal von uns ausgehe: Ein normaltypisches, zwölfjähriges Mädchen müsste nicht gewickelt, gewaschen, gebürstet, an- und ausgekleidet werden, gelagert, abgesaugt, mit Sauerstoff versorgt, durch Anfälle und stundenlange Schmerzen begleitet, sondiert und getragen werden. Ein normaltypisches, zwölfjähriges Mädchen, das Therapien bräuchte, könnte vielleicht allein dort hin und alleine üben und alleine Hausaufgaben machen und alles schon ein wenig selbständiger tun als unsere Tochter. Die Pflege unserer Kinder ist oft ein wirklich knochenharter Pflegejob, in dem man alles geben muss und 100% aufmerksam zu sein hat. Erholungsphasen gibt es für manche von uns nie. Ausschlafen kennen wir nur vom Hörensagen. Stundenlang entspannt irgendetwas tun, können wir uns nicht mehr vorstellen. Wir sind immer auf Hab-acht-Stellung.

Und weil dem so ist und es für dieses Dilemma auch keine Lösung gibt, hab ich beschlossen, dass ich wenigstens mal klatsche. Ich klatsche für alle pflegenden Eltern und vor allem für die Mütter. Falls es Euch noch nie jemand gesagt hat: Ihr macht einen tollen Job! Seid stolz auf Euch. Ein Geheimnis gebe ich gerne preis, nämlich was mir unheimlich hilft: Nicht nachdenken. Einfach machen. Funktionieren. Das ist zwar extrem ungesund für einen selber, aber es klappt. So geht es eine Weile länger. Und es geht besser als gedacht. Und wenn ich wieder einmal dran denke, dann klatsch ich auch immer wieder mal. Bestimmt geht es mit Klatschen dann noch ein wenig länger. Durchhalten! Applaus!





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