Care-Arbeit kennt keinen Urlaub

Heute war mein erster Arbeitstag nach zwei Wochen Urlaub in meiner Haupttätigkeit. Der Urlaub war notwendig, weil wir in den Weihnachtsferien tagsüber keinen Pflegedienst für die Betreuung unserer Prinzessin haben. So teilen wir Eltern uns die Betreuung und Pflege traditionell in Ferienzeiten ohne Fremdbetreuungsmöglichkeit auf. Offiziell heißt das dann für mich "Urlaub". 


Aber Care-Arbeit kennt keinen Urlaub und auch keine besonderen Tage oder Anlässe. Dem Stuhldrang unserer Hummel ist es egal, ob der Papa seine Weihnachtsgeschenke schon auswickeln konnte, wenn sie dringend muss, dann muss sie. Und da wir wissen, dass es ganz schnell schief gehen kann und ein zehn Minuten Aufschieben des Inkontinenzwechsels zur Folge haben kann, dass das Kind von Kopf bis Fuß komplett umgezogen werden muss, reagieren wir natürlich ASAP. Abgesehen davon, entspricht es nicht unserem Verständnis von Pflege und Menschenwürde, unsere Tochter wissentlich im eigenen Kot sitzen zu lassen. Also verschieben wir die Geschenkübergabe auf später. Auf einen ganzen Tag später, weil - naja, weil halt.

Wir haben halt auch im Urlaub unseren Zeitplan, der mehr oder weniger strikt eingehalten wird oder eingehalten werden muss. Schließlich braucht unsere Tochter regelmäßig zu bestimmten Zeiten ihre Medikamente, muss zu bestimmten Zeiten oder wenigstens innerhalb bestimmter Zeitfenster inhalieren und gründlichst durchbewegt werden und braucht ihre Mahlzeiten. Das bedeutet für uns, dass wir tagein, tagaus so um fünf Uhr aufstehen und unseren Tag beginnen. Wenn wir eine Nachtschwester haben, nutze ich die Gelegenheit, um morgens zu sporteln, während der Papa wirklich ein paar Minuten länger schläft. Spätestens um halb acht müssen wir die Nachtschwester allerdings ablösen, dann ist spätestens Schichtende angesagt, unter der Woche schon um Viertel nach sieben. 

Das ist für uns inzwischen schon so selbstverständlich, dass wir gar nicht mehr groß drüber nachdenken. Wir machen halt, was getan werden muss, Urlaub hin oder her, so richtig entspannend ist es halt nicht. Wir haben viel erledigen können, was auf unserer To Do Liste stand, weil die Motte freundlicherweise nur einmal in dieser Zeit etwas Temperatur hatte, aber keine größeren Katastrophen mit ihr zu bewältigen waren. Das hat gut getan und war notwendig. Durchschlafen konnte ich auch einige Male, da Weihnachtsferien einige Feiertage beinhalten. An Feiertagen haben wir häufig Nachtdienste, Feiertagszuschläge sind zum Glück begehrt. Damit war mein Schlafdefizit akzeptabel, mein sportlicher Aktivitätslevel ebenfalls. An den Nachmittagen ist es uns tatsächlich oft geglückt, gemeinsam ein wenig zu ruhen, da sind mir auch schon mal eine halbe Stunde lang die Augen zugefallen. Nach zwei Nachtdiensten am Stück allerdings auch nicht weiter erstaunlich.

Aber ausschlafen, bis man von alleine aufwacht, gemütlich Silvester feiern und einen ausgedehnten Neujahrsbrunch zu planen, ist für uns wie für die meisten pflegenden Angehörigen reine Utopie. Der Epilepsie ist es auch nachts egal, ob ich gerade erst eingeschlafen bin, die sucht unsere Hummel zu den unmöglichsten Zeiten heim. Dass der Monitor piept, obwohl ich erst eine halbe Stunde vorher kontrolliert habe, ob alles in Ordnung ist, kann ich nicht ändern, auch nicht nachts um halb drei. Sauerstoff aufdrehen, Sauerstoff abdrehen, je nachdem was notwendig ist. Drehen, lagern, sondieren, inhalieren, egal ob ich müde bin und eigentlich Urlaub hätte. Es muss erledigt werden, auch mehrmals in der Nacht nicht nur tagsüber.

Wenn pflegende Angehörige Urlaub haben, haben sie immer nur ein wenig Pause vom Berufsalltag. Dabei ist der für Viele gerade die willkommene Abwechslung, bringt meistens die ersehnte Ruhe in einer geregelten Mittagspause, die wir vom Pflegealltag fast gar nicht kennen. Erholt sind pflegende Angehörige nach einem Urlaub selten, weil sie den Urlaub mit Pflege verbracht haben. Obwohl wir im Laufe der Jahre wirklich viel optimieren konnten an Equipment, an Abläufen und Techniken, hab ich auch in diesem Jahr wieder Probleme mit den Händen und Armen nach zwei Wochen Dauerbelastung. 

Dabei geht es uns noch gut, wir haben grundsätzlich Unterstützung unseres Pflegedienstes, viele Familien finden gar kein Pflegepersonal. Wir können einer Arbeit nachgehen, was auch für viele pflegende Angehörige alles andere als selbstverständlich ist. Gerade viele Mütter bzw. Töchter, Schwiegertöchter, Nichten - weil häusliche Pflege nach wie vor in den meisten Fällen Care-Arbeit der Frauen ist - viele dieser Frauen müssen ihre Berufe aufgeben. Nicht jeder Arbeitgeber kann großzügig genug sein, die häufigen Fehlzeiten zu tolerieren, die durch Krankenhausaufenthalte, fehlende Fremdbetreuung etc. anfallen. Nicht jeder Arbeitnehmer hat wie wir die Möglichkeit im Homeoffice zu arbeiten und sich die Arbeit notfalls so einzuteilen, dass sie nachts und an den Wochenenden erledigt werden kann. Nicht jede Familie hat wie wir die Möglichkeit, sich so abzusprechen, dass notfalls immer ein Elternteil für die Betreuung und Pflege anwesend sein kann. Dafür sind wir auch dankbar und dafür nehme ich auch gerne Urlaub, der halt kein Erholungsurlaub ist.

Also streng genommen bin ich gar nicht böse, dass der Urlaub wieder vorbei ist und unser Alltag angebrochen ist. Hände und Arme werden sich in ein paar Wochen wieder erholt haben. Wenn der Dienstplan des Pflegedienstes einigermaßen eingehalten werden kann, weil hoffentlich alle aus unserem Schwesternteam gesund bleiben, sieht der Rest des Monats gar nicht so übel aus. Stand heute jedenfalls. Wir planen ja nicht, wir nehmen alles, wie es kommt. Aber im tiefsten Inneren meines Herzens muss ich doch gestehen, verspüre ich den Wunsch, einfach mal ein paar Tage gar nichts zu tun, Dieser Wunsch bleibt natürlich in den Tiefen meines Herzens verborgen, weil ich genau weiß, was es bedeutet, wenn dieser Wunsch eines Tages Wirklichkeit sein würde.

Und auch wenn es sich eigentlich nicht gehört, ungefragt kluge Ratschläge rauszuhauen, mache ich mal eine Ausnahme. Das Umfeld von pflegenden Angehörigen möchte ich in klassischen Urlaubszeiten vorsichtshalber doch mal vorwarnen: Bitte, fragt pflegende Angehörige niemals, ob sie sich gut erholt haben im Urlaub (außer es war ein Urlaub im Kinderhospiz, das mag die Ausnahme sein!), die Frage irritiert uns. Wir Angehörige des größten und billigsten Pflegedienstes des Landes wissen oft nicht, was wir auf so eine Frage sagen sollen, ob wir lachen oder weinen sollen, also sagen wir meist nix oder sowas ähnliches wie "na klar, erholt". Ich gebe allerdings zu, da lügen wir und zwar gewaltig. Denn Care-Arbeit kennt eigentlich keine Erholung und definitiv keinen Urlaub.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Nicht ganz dicht, oder?

Wenn das Sterben zum Leben gehört

Urlaub im Sternenzelt