Eine kleine Erinnerung für alle, die glauben, sie müssten andere zum Aufwachen bewegen

Es scheint momentan chic zu sein, in sozialen Medien Links zu teilen mit dem Zusatz "einfach mal selber denken" oder auch "wacht endlich auf!". Meist handelt es sich um Beiträge, in denen von Freiheitsbeschränkungen durch Maßnahmen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie die Rede ist oder gar davon, dass diese Corona-Pandemie gar nicht existiert und ein riesen Fake ist, eingefädelt von - wahlweise - der Regierung, den Chinesen oder Bill Gates um eben - siehe Punkt 1 - unsere Freiheit zu beschränken. Ich mach es jetzt auch mal so, ich poste ein Bild und bitte alle, einfach mal selber zu denken:

Zur Erinnerung: Das war Weihnachten 2016, als wir unsere Motte zum zweiten Mal in Folge fast verloren hätten. Da war von Corona noch lange nicht die Rede, unsere Prinzessin hatte einfach "nur" eine Aspirationspneumonie. So eine Lungenentzündung ist etwas, was bekannt ist, was auch grundsätzlich behandelbar ist, man kann jedenfalls aus einem gewissen Erfahrungsschatz schöpfen, um das in den Griff zu bekommen, was nicht zwingend heißt, dass es nicht auch schief gehen kann. Wir hatten damals Glück, die Maus musste nicht künstlich beatmet werden, 16 Liter Highflow waren ausreichend und nach dreieinhalb Wochen Intensivstation durften wir das Krankenhaus wieder verlassen, weil sie keine IV-Behandlung mehr benötigt hat und mit einer normalen Sauerstoffbrille zurecht kam und wir Sauerstoff und Monitor ohnehin zu Hause haben und dort auch absaugen können. Bei einem Covid-19 Patienten wäre das wesentlich dramatischer.

Auch ich finde es lästig, diesen Mund-Nasen-Schutz neuerdings tragen zu müssen, aber ich muss gestehen, dass ich mich nicht sonderlich in meiner Freiheit beschränkt fühle. Wenn aber so viele Menschen genau darunter leiden und zwar so sehr leiden, dass sie zu zig-tausenden genau dagegen demonstrieren müssen, frage ich mich ernsthaft, womit ich da künftig in unserer Gesellschaft rechnen muss. Muss ich mich auf sprunghaft steigende Zahlen von Verkehrstoten einstellen, weil diesen Menschen auch einfällt, dass es noch mehr Regeln in unserer Gesellschaft gibt, sowas wie an einer roten Ampel halten, den Sicherheitsgurt anlegen, Vorfahrt gewähren, bestimmte, festgelegte Geschwindigkeiten einzuhalten? Wie genau soll ich mir das vorstellen? Es fällt mir wirklich sehr schwer, die Logik dieser Menschen nachzuvollziehen und dabei gebe ich mir von Beginn an wirklich viel Mühe damit.

Fakt ist doch, wir haben plötzlich - warum auch immer - diese neuartigen Coronaviren. Woher auch immer die kommen und ob die jemand absichtlich oder versehentlich in die Welt gebracht hat, ist für mich dabei ganz unerheblich. Sie sind da und richten Schaden an. Das Ausmaß dieser Schäden ist leider noch nicht ganz klar und wird wohl auch auf weiteres nicht ganz absehbar bleiben. Immerhin gibt es mehr und mehr Studien, die belegen, dass auch bei milden Verläufen Organe Schaden nehmen, der messbar ist, der möglicherweise auch dauerhaft bestehen bleibt, mindestens jedoch lang andauernd ist. Bekannt ist inzwischen ebenfalls, dass es wohl nicht ganz einfach sein wird, eine Immunisierung zu erreichen, da die Antikörper nicht in jedem Fall zuverlässig und nachhaltig gebildet werden, auch wenn die Krankheit gut überstanden wurde und die Patienten nicht mal sehr beeinträchtigt waren.

Soweit zu den Fakten, die sich erweitert, teilweise geändert haben, je mehr über diese Viren und die Erkrankungen in dem Zusammenhang bekannt geworden ist. Ich glaube dass sich alle einig sind, dass das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes nicht der Bekämpfung der Viren dient und genau das war es auch, was die Wissenschaftler zu Beginn mitgeteilt hatten. Zu dem Zeitpunkt hatte man offenbar noch die Hoffnung, einen raschen Weg der Behandlung und vielleicht auch Prävention zu finden. Diese Hoffnung schwand schnell.

Ich glaube, dass es für jeden Virologen, jeden Experten des RKI, der in einer Pressekonferenz Empfehlungen aussprechen muss, unendlich frustrierend sein muss, wenn er an den Punkt kommt, an dem er sagen muss "wir sollten jetzt alle mal unsere Gesichter bedecken", wohl wissend, dass es kein Heilmittel ist, aber frustriert wissend, dass es leider das Beste ist, was wir derzeit haben. Nach dem Motto, besser ein klein wenig als überhaupt nichts.
Vielleicht hilft ein kleines Beispiel aus dem Leben unserer Tochter, das ist für den einen oder anderen möglicherweise plastischer als Coronaviren: Ganz zu Beginn der epileptischen Anfälle hat uns der damalige Neurologe unserer Tochter erklärt, dass man idealerweise das passende Medikament finden muss, um eine Epilepsie zu behandeln, in schweren Fällen bräuchte man zwei. Wenn der Neurologe ganz verzweifelt ist, greift er auch mal zu einem dritten. Unsere Tochter hat inzwischen fünf Medikamente, die Anfälle sind alles andere als unter Kontrolle und glücklich ist damit gar niemand. Aber wir haben leider keine bessere Lösung parat.

In Deutschland ist es uns bislang gelungen, unendlich viele Tote zu verhindern. Andere Länder waren nicht in so einer glücklichen Lage. Ich mache mir regelmäßig die Mühe, über meinen Tellerrand weit hinaus zu blicken und auch bei Corona hab ich das getan. Ich habe mir die Mühe gemacht, mich mit Menschen in anderen Ländern auszutauschen, die teilweise auch im medizinischen Bereich arbeiten und abschätzen können, wie die Lage im eigenen Land aussieht. Was ich da höre, ist nicht sonderlich witzig und ich muss gestehen, dass ich nicht mal meinem ärgsten Feind wünsche, an diesem Covid-19 zu erkranken. Sogar daran zu sterben, scheint maximal grausam zu sein. Erschwerend kommt hinzu, dass sehr viel Personal für die Behandlung eines einzelnen Patienten gebunden wird, Personal, dass sich zwangsläufig selbst in Gefahr bringen muss und das bis zur Erschöpfung kämpft. Ich bin offenbar zu empathisch, denn ich finde so etwas unerträglich. Ich möchte es unter allen Umständen vermeiden, jemanden in meinem näheren Umfeld daran erkranken zu sehen.

Ja, der Wirtschaft geht es bescheiden und natürlich red ich mich ausgesprochen leicht. Kurzarbeit, Verlust der Arbeit sind für mich zum Glück keine Gefahr. Aber würde es der Wirtschaft wesentlich besser gehen, wenn wir 80.000 Tote hätten, die auch nicht mehr arbeiten könnten und 100.000 Arbeitnehmer, die monatelang nicht mehr voll arbeitsfähig sind, weil sie auch nach Monaten noch an den Auswirkungen dieser Erkrankung leiden, obwohl sie gar nicht so schwer betroffen waren? In meinen Augen ist es keine Alternative, aber das ist meine Meinung.

Ja, wir haben auch viele Probleme durch die Schließung der Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen. Allerdings möchte ich anmerken, dass unsere Tochter, ja, ich spreche von unserer schwerst-mehrfach-behinderten Tochter mit Pflegegrad 5, einem schwachen Immunsystem, dass diese unsere Tochter seit dem Lockdown nie wieder einen Infekt hatte. Sie ist der lebendige Beweis, dass Abstand halten, ordentliche Handhygiene und einfach daheim bleiben, wenn man krank ist, die beste Lösung ist, um das Ausbreiten von übertragbaren Krankheiten generell zu vermeiden.

Auch ich bin der Ansicht, dass nicht alles optimal gelaufen ist und wir müssen tatsächlich in den meisten Punkten nachbessern. Es wäre längst an der Zeit, die Lehren aus dieser Krise zu ziehen, da dauert mir vieles noch viel zu lang. Aber von heute auf morgen auf alles zu pfeifen, alles uneingeschränkt zu öffnen, die Maskenpflicht in den Wind zu schießen und so zu leben, als hätten wir jetzt wieder Normalbetrieb, ist für mich keine Alternative. Wir werden einen guten Weg finden müssen, mit der Existenz dieser Viren umzugehen und einen guten Weg finden müssen, wir wir alle mit möglichst geringen Schäden und Kollateralschäden durch die Nummer durchkommen.

Sich hinzustellen und zu behaupten, es träfe ja ohnehin nur die Alten und die mit einer Vorerkrankung und stumm oder gar ausgesprochen hinzuzufügen, dass die ja ohnehin gestorben wären, dann sterben sie halt ein wenig früher, ist in meinen Augen maximal zynisch. Jeder in meiner Familie, Eltern und Schwiegereltern natürlich eingeschlossen, gehört zu den Risikopatienten. Ja, auch ich, denn ich hab allergisches Asthma, das mich zwar im normalen Leben nicht beeinträchtigt, mir aber ganz schnell zum Verhängnis werden könnte. Natürlich kann jeder dieser Ansicht sein, dass es um "die" eh nicht schade ist, ich halte es wie gesagt für ausgesprochen zynisch und ich möchte aus Respekt meiner Familie gegenüber darum bitten, in unserer Gegenwart von solchen Äußerungen Abstand zu nehmen.

Ich werde niemanden versuchen zu bekehren, jeder darf seine Meinung äußern. Nur dieses krude Gewäsch bitte nicht in meinem Dunstkreis! "Wach auf!" muss mir keiner sagen. So viele Nachtdienste, wie ich in letzter Zeit selbst übernehmen muss, bin ich gefühlt ohnehin die meiste Zeit wach. Aber ich mach es jetzt mal genauso und bitte alle, vor allem die, die glauben, Corona wäre ein Fake und wir werden alle manipuliert, mal aufzuwachen, das Köpfchen schief zu halten, damit die letzten Reste einer Gehirnmasse zusammen laufen können und das Bild ganz oben nochmal zu betrachten. Zur Erinnerung: Ein Covid-19 Patient hat noch ein bisserl mehr Equipment. Wollt Ihr das wirklich?

Es wäre schön, wenn unsere Gesellschaft wieder mehr auf gegenseitige Rücksichtnahme und Empathie setzen würde. In Japan gehört es übrigens schon seit Ewigkeiten zum guten Ton, bei dem kleinsten Schnupfen mit einer Mund-Nasen-Bedeckung das Haus zu verlassen. Alles andere wäre unhöflich, hab ich mir erklären lassen. So ein wenig mehr japanische Höflichkeit täte uns allen gut. Wer jetzt entsetzt über mich ist oder sauer auf mich, weil ich mir erlaube, solche Dinge in den Mund zu nehmen, darf mich übrigens gerne entfreunden. Damit lebe ich gerne und dann auch gut. Nur als Hinweis in eigener Sache!

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