Der achte Geburtstag

Gestern hatte unsere Kampfhummel ihren achten Geburtstag. Es ist kaum zu glauben. Dabei weiß ich noch genau, wie es damals war, als sie zur Welt kam, ich erinnere mich als wäre es erst gestern gewesen und ich stelle fest, dass ich meiner Mutter immer ähnlicher werde. Ob das für meinen Mann so klasse ist, weiß ich nicht ...
So lange ich denken kann und ich noch zu Hause gewohnt habe, hat meine Mutter mir immer wieder - angefangen am Vorabend meines Geburtstages - erzählt, was sie genau vor x Jahren getan und gefühlt hat. Jetzt geht es mir genau so. Am Vorabend des Geburtstages saßen wir da und haben uns erinnert, wie es war, bevor diese beiden Augen uns zum ersten Mal ganz erstaunt angesehen haben.

Interessanterweise geht die Erinnerung beider Elternteile ein wenig auseinander, aber wahrscheinlich ist das normal, Mütter sind zwangsläufig mehr involviert in den Geburtsvorgang als Väter. Selbst nach acht Jahren habe ich die Angst nicht vergessen, Angst, auch dieses Kind nicht lebend in den Armen halten zu dürfen. Ich spüre noch immer diese Zweifel, die Ungewissheit und Unsicherheit ob dem, das da auf uns zukommen wird. Gebetet habe ich in dieser letzten Nacht als Schwangere. Gebetet, dass ich dieses Kind wenigstens einmal lebend sehen darf, dass ich es kennenlernen und mich ordentlich verabschieden darf, wenn es sein muss. Am liebsten - und auch dafür habe ich gebetet - wäre es mir damals schon gewesen, mein Kind wenigstens nach Hause bringen zu dürfen, damit es sein liebevoll eingerichtetes Zimmer sehen kann oder spüren. Mit diesem Gefühlsmix, dieser Nervosität sind wir am 3. Dezember in die Geburtsklinik gefahren. Ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen.

Ob ich nach der Geburt stillen möchte, haben mich die Schwestern bei der Aufnahme gefragt. Ich weiß doch gar nicht, ob mein Kind leben wird. Das war denen wurscht, dass ich das gedacht habe. Wenn ich stillen will, werden wir das ermöglichen, haben sie mir erklärt, und sie gehen immer davon aus, dass das Kind lebend zur Welt kommt. Na, wenn das so ist.

Die Anästhesisten waren fantastisch. Wie eine Bootsfahrt fühlt sich das an, wenn das Kind per Kaiserschnitt geholt wird, haben sie mir erklärt. Kaiserschnitt. Was für eine Niederlage. So habe ich das empfunden. Hauptsache mein Kind lebt mal, das rückte plötzlich in den Fokus, der Kaiserschnitt - naja, lebend ist wichtig. Ich weiß das noch, auch nach acht Jahren. Bitte, bitte, lass sie leben, habe ich immer wieder gebetet und dann war es soweit. "Wir haben sie und ich glaube wir haben Glück. Sie sieht ganz normal aus." hat der Professor verkündet. Und ehe ich mich versah, hatte ich dieses kleine Lebenwesen auf meiner Brust. Zwei völlig verdutzte Augen blickten mich groß an. Sie lebt. Sie atmet. Sie schaut. Das waren meine ersten Gedanken. Was war ich dankbar!

Nach dem Zusammennähen, das ich schon wieder mit blöden Sprüchen kommentieren konnte ("Bitte geben Sie sich Mühe mit der Naht, meine Mama ist Damenschneiderin!") musste ich warten bis ich meine Beine wieder gespürt habe. Da lag ich nun. Allein. Das kleine Menschlein wurde untersucht und ich wähnte sie beim Papa, der von mir den Auftrag hatte, sie ja keine Sekunde aus den Augen zu lassen. Ich war nämlich als Baby verwechselt worden. Zum Glück mit einem Buben, der Irrtum war also schnell aufgeklärt.

An das Gefühl oder besser gesagt nicht vorhandene Gefühl, das sich nach der Geburt in mir ausgebreitet hat, erinnere ich mich ebenfalls ganz genau. Ein irrsinnig schlechtes Gewissen hatte ich, weil da gar nix war. Keine Freude, keine Erleichterung, nur Unruhe. Eine Mutter spürt wohl instinktiv, wenn etwas nicht stimmt. Als ich auf mein Zimmer kam, dauerte es noch eine ganze Weile, bis mein Mann gesenkten Hauptes kam. Allein. Ohne Kind.Sie ist auf der Intensivstation. Er müsse mit mir reden, es wäre alles noch viel schlimmer als erwartet. Das Gehirn hat keine einzige Windung und der Balken ist nur teilweise vorhanden. Wir sollten irgendwas unterschreiben, welche lebenserhaltenden Maßnahmen ergriffen werden sollen. Schock! Werde ich sie noch lebend sehen? Keine Ahnung, wie schnell die Dich von der Infusion losmachen, war die Antwort. Das saß. Daher also das komische Gefühl in der Bauchgegend. Deswegen stellte sich keine Freude ein. Ich war wie im Nebel, das weiß ich auch nach acht Jahren noch.

Da wir den achten Geburtstag feiern, ist der Rest der Geschichte selbstredend. Wir haben die Motte mit nach Hause genommen und der Weg der Achterbahn begann. Nein, es waren keine leichten Jahre und ich könnte nicht behaupten, dass wir immer wieder Fortschritte machen würden. Oft ist das Gegenteil der Fall. Aber sie ist hier und hat ihren achten Geburtstag erlebt. Maximal zwei bis drei Jahre hatte man prognostiziert. Viel gelernt haben wir in all den Jahren. Viele Dinge, die ich niemals können wollte. Ich bin Verwaltungsbeamtin. Eigentlich. Ein sauberer, sicherer Job, im Trockenen und Warmen auszuüben. Aber plötzlich bin ich eine medizinische Mama. Sättigungswerte in Zusammenhang mit Sauerstoffzufuhr zu bringen ist genau so normal wie an der Herzfrequenz zu erkennen, ob da Fieber kommt. Gastrotube wechseln, Maschinen bedienen, Werte interpretieren, abhören, versuchen zu verstehen. Eigentlich bin ich Verwaltungsbeamtin. Darauf hat mich niemand vorbereitet. Aber ich muss funktionieren. Immer. Ich muss lernen, egal wie schwierig es scheint. Und es geht irgendwie bislang.

Perfekt war der Geburtstag nicht. Die Schulbegleitung fiel aus und so musste das Geburtstagskind daheim bleiben, was etwas langweilig war mit zwei arbeitenden Eltern. Aber den Nachmittag haben wir uns gemütlich gemacht, ausführlich Geschenke inspiziert, haben lieben Überraschungsbesuch bekommen und am Abend hab ich mein Geburtstagskind ganz beseelt ins Zimmer getragen. Schön gemütlich wollte ich die Abendpflege für sie ganz kuschelig gestalten, so wie es sich für einen Geburtstag gehört. Natürlich wurde nichts draus. Sie fand es blöd. Wie fast immer. Und so hatte ich ein brüllendes Kind, das sich mit Händen und Füßen wehrt, tritt, in höchsten Tonen kreischt, nur weil es gewaschen und eingeölt wird. Als Baby fand sie das wenigstens noch schön und ein Tritt von ihr tut auch erst weh, seitdem sie schwer geworden ist.

Ein bissl wehmütig war mir und da war wieder die Unsicherheit, wie das wohl weiter gehen wird. Wenn sie schwerer wird, gezielter treten und schlagen kann, nicht mehr das niedliche, kleine Kind sein wird. Ja, es macht mich nervös. Nur die Angst von damals, die ist nicht mehr da. Irgendwie habe ich meinen Frieden mit der Situation gemacht und die Tatsache, dass ich nicht weiß, ob ich den neunten Geburtstag auch noch feiern werde, ist nicht mehr schlimm.

Mit einem Glasl Rotwein haben ich den Tag für mich ausklingen lassen. Acht. Irre. Wo ist die Zeit hin? Ganz schlecht waren sie nicht, die acht Jahre, ich glaube dass die Hummel das genau so sieht.


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