"Im Krankenhaus ist es sicher sehr langweilig für Euch Eltern" - ????

Neulich sagte jemand recht bedauernd zu meinem Mann: "Im Krankenhaus ist es sicher sehr langweilig für Euch Eltern den ganzen Tag." Als er es mir erzählt hatte, standen wir beide etwas verstört da, ich schüttelte verständnislos den Kopf, weil ich nicht begreifen konnte, wie man auf so eine Idee kommen kann. "Glauben die Leute, wir sitzen den ganzen Tag nur rum und drehen Däumchen?" fragte ich entrüstet. Tja, wahrscheinlich. Dabei sieht unser Tagesablauf im Krankenhaus gar nicht so viel anders aus als daheim. Na gut, es gibt Unterschiede, aber die sind nicht sonderlich entspannend.

Wer ein so besonderes Kind hat wie wir, verbringt leider sehr viel Zeit im Krankenhaus. Wir sind immer in der gleichen Kinderklinik, das hat viele Vorteile. Das Krankenhaus hat eine überschaubare Größe, so kennen alle wichtigen Ärzte unser Kind, die Pflegeschwestern auf "unserer" Station sowieso. Wir genießen gewisse Privilegien, die das Leben dort ein ganzes Stück angenehmer machen.

Dass wir zu den Stammgästen gehören, merken wir schon am Empfang, wenn die nette Dame fragt "wie immer?" und wir in der Cafeteria begrüßt werden mit "was macht Ihr denn schon wieder da? Intensiv oder normal?", wenn in der Notaufnahme die diensthabende Schwester feststellt, dass sie jetzt auch endlich mal unsere Tochter kennenlernen darf, sie hätte schon so viel von ihr gehört. Ja, wir gehören schon so zum Inventar, dass der Schwester schon mal rausrutscht, ich dürfte ruhig schnell die Personaltoilette benutzen, ich würde ja dazu gehören. Das ist eigentlich gar nicht schön, weil es vor Augen führt, WIE oft wir schon viel Zeit dort verbringen mussten, aber es ist unheimlich schön, weil wir uns dort gut aufgehoben fühlen und spüren, wir werden umsorgt.

Wir dürfen viel, wir dürfen uns auch viel erlauben. Dadurch nehmen wir allerdings den Schwestern auch ein wenig Arbeit ab und das ist im Jahr 2018 offenbar recht hilfreich. Stationen sind notorisch unterbesetzt, viele Kinder sind allein in der Klinik und die Schwestern haben alle Hände voll zu tun, Frühchen zu päppeln, Diabetespatienten zu überwachen, zum x-ten Male zu dokumentieren, Medikamente zu richten etc. Hier sind wir schon an einem Punkt unserer Privilegien. Die Medis dürfen wir inzwischen selbst richten. Das hat den entscheidenden Vorteil, dass wir die Medikamente zu der Zeit haben, in der wir sie brauchen, für die Schwestern hat es den Vorteil, dass wir nicht ständig in deren Übergaben pfuschen.

Wir dürfen selber kochen, jawohl, im Krankenhaus. Es gibt eine Patientenküche, die wir nutzen dürfen. Das hat den Vorteil, dass unsere Prinzessin ihr gewohntes Essen bekommt und die Schwestern müssen sich keine Gedanken machen, wie sie was zubereiten müssen. Damit sind schon entscheidende Phasen unseres Tagesablaufs abgedeckt. Medis richten, verabreichen, Nahrung kochen, sondieren, wickeln, lagern, Physiotherapie, das ist oft ein tagesfüllendes Programm. Da die Nächte nicht unbedingt ruhig sind, wären ein paar Stunden Schlaf am Tag gar nicht übel, aber da ist keine Zeit.

Selbst wenn die Physiotherapeuten kommen, werkeln wir mit. Während die Profis den Schleim lockern, bereiten wir den Hustenassistenten vor und dann wird gemeinsam gehustet, während die Physiotherapeuten abvibrieren. Wenn ich hin und wieder ein paar Seiten im Buch lesen kann, bin ich schon richtig dankbar, weil das dann wirklich mal entspannend ist und genau das ist wichtig in einer Phase von höchster emotionaler Anspannung.

Zum Waschen brauche ich Hilfe von den Schwestern, wegen all der Kabel, die traditionell vom Kind wegstehen. Die Inhalation wird gerichtet und absaugen, da brauch ich auch die Schwestern. Den Rest machen wir selber. Alles, was wir für die Versorgung benötigen, wird geliefert, gewickelt, umgezogen, gepflegt, wird die Maus von uns. Offensichtlich machen wir alles zur Zufriedenheit der Schwestern, denn ein ganz entscheidendes Privileg genieße ich sehr: Ich darf in Ruhe essen gehen. Wahrscheinlich merkt man mir innerhalb kürzester Zeit an, dass ich ohne Kaffee ungenießbar bin und so darf ich zuverlässig frühstücken gehen.

Das bedeutet, aufstehen um Viertel vor sechs, schnell duschen, Medikamente richten und sondieren, Frühstück richten und sondieren, Tee kochen oder bringen lassen. Danach selber frühstücken, im Anschluss Morgenpflege mit Atemtherapie. Am Vormittag kommt die Physio, da helfen wir mit. Zwischenmahlzeit richten und sondieren, lagern, abklopfen, inhalieren, Mittagessen richten und sondieren, umlagern, immer wieder wickeln, Zwischenmahlzeit richten und sondieren, der Physiotherapeutin wieder helfen, lagern, abklopfen, inhalieren, Medikamente richten und sondieren, Abendessen kochen und sondieren und endlich versuchen zu schlafen. Nein, langweilig ist das wahrlich nicht.

Die Nachtschwestern sind so lieb, uns nachts schlafen zu lassen, wenn wir können und übernehmen Inhalation und wickeln für uns. Wenn die Krise allerdings groß ist, ist nicht an Schlaf zu denken. Da arbeiten alle gemeinsam daran, dass es der Prinzessin bald wieder besser geht. Vor allem die Pflege sorgt dafür, dass wir alles haben, was hilft, bald wieder nach Hause zu kommen. Und vor allem die Pflege achtet darauf, dass es auch uns Eltern gut geht. Da kann es schon passieren, dass man plötzlich ein ganz normales, bequemes Bett bekommt, weil die kranke Tochter mal wieder nur auf Mamas Arm schlafen kann und die Schwester schon vom Hinschauen Rückenschmerzen bekommt.

Wir fühlen uns gut aufgehoben in "unserem" Krankenhaus und sind sehr dankbar dafür, dass wir auf unserem Weg unterstützt werden. Es gibt keine Diskussionen darüber, dass wir die Nahrung selbst mitbringen, im Gegenteil, unsere Pürierdiät wird unterstützt. Wenn es Spitz auf Knopf mit unserer Maus steht, sind inzwischen alle alarmiert und fahren Notprogramm, persönlich auf uns zugeschnitten. Bei allem, was passiert, dürfen wir Eltern auf Augenhöhe mit entscheiden. Wir werden gehört und mit einbezogen. Gut, es gibt Ausnahmen, aber in der Regel klappt das ganz fantastisch.

Alle, die an der Genesung unserer Süßen beteiligt sind, reißen sich Arme und Beine aus, uns eingeschlossen. Es wird gearbeitet, therapiert und alles getan, was nur geht, damit die kleine Dame immer wieder schnell gesund wird. Und langweilig, nein, das ist es nicht. Wir sind aus anderen Gründen froh, das Krankenhaus so bald als möglich verlassen zu können.

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