Eltern, hört auf Euren Bauch!
Leider habe ich auf meinen verzweifelten Hilferuf nur wenig Resonanz bekommen. Was offenbar evident war, war die Tatsache, dass ich mit meinem Latein und meinen Nerven am Ende war. Die einzige Lösung, die zunächst an mich herangetragen wurde, war eine Therapie für mich. Ein Coaching oder eine Reha, eine Auszeit für mich alleine. Klingt ja auf den ersten Blick recht nett. Aber das ist nicht ganz das, was ich eigentlich wollte und nach einer Nacht drüber schlafen, war mir auch völlig klar, dass es am Ziel vorbei geht. Es ist definitiv nicht das, was ich brauche.
Meine Entscheidung, nichts davon wahrzunehmen, stieß vermutlich auf sehr viel Unverständnis, aber das war mir egal. Mein Bauchgefühl hat mir gesagt, dass das mein Problem allenfalls verschieben würde, aber nicht lösen. Ich gehöre nicht zu den Menschen, denen es hilft, wenn sie sich Woche für Woche über das Gleiche auskotzen können. Mich regt das viel zu schnell selber auf. Was ich brauche, sind Lösungen. Meine Probleme kann ich benennen. Und klar tut es gut, wenn ich mich mal richtig auskotzen kann. Mach ich ja auch. Hier. Da kann es lesen wer mag, wer nicht mag, lässt es bleiben. Ich kann es loswerden, muss aber nicht in regelmäßigen Abständen immer wieder darüber sprechen.
Was ich brauche, das war mir klar, ist jemand, der mich und mein Kind in der Interaktion erlebt. Jemand, der nicht nur meine Not sieht, sondern auch ihre Not und der vielleicht Ahnung davon hat, wo ihre Not konkret liegen könnte. Aber es tat sich erstmal nichts. Mein Bauchgefühl hat mir aber geraten, einfach abzuwarten. Das wird schon. Und dann wurde es.
Fast zaghaft hat sich eine Bekannte mit einer Idee an mich gewandt, eine Idee, die ich interessant fand. Weder sie noch ich waren spontan der Ansicht, dass wir den Stein der Weisen gefunden haben, aber es war eine Chance. Kaum ausgesprochen, hab ich Nägel mit Köpfen gemacht und die Therapeutin, an die die Bekannte spontan dachte, kontaktiert. Eine Ergotherapeutin. Hatten wir noch nie, ich hatte auch keine Ahnung, was eine Ergotherapeutin uns bringen könnte, aber ich hatte nichts zu verlieren. Also haben wir einen Termin vereinbart. Und zwar bei uns daheim. Sensation! Die einzige Therapeutin, die seit der Sehfrühförderung zu uns nach Hause kommt. Ich war total begeistert.
Die ersten Termine waren erstmal ein ausprobieren, Themen finden, gegenseitig lernen. Aber dann ist es langsam passiert. Es wurde besser. Das Durchdrehen hat sich gebessert. Die Kooperation hat sich wieder gesteigert und wir hatten plötzlich wieder einen dünnen Draht zueinander, die Prinzessin und ich. Das hat mich motiviert, auch andere Themen anzugehen und auch die Physiotherapie zu besprechen. Auch da haben wir modifiziert und es wurde leichter.
Wir sind noch lange nicht am Ziel, aber wir sind auf einem Weg. Und bekanntermaßen beginnt auch der längste Weg mit dem ersten Schritt. Wir haben tatsächlich schon einige Schritte zurück gelegt. Wir haben Ideen, Theorien und müssen jetzt sehen, ob und wie wir Lösungen erarbeiten können. Auch wenn wir vielleicht nur einen Bruchteil dessen, was wir uns erhoffen, lösen können, so sind wir doch wesentlich weiter als vor ein paar Monaten. Das macht etwas mit mir. Ganz viel sogar. Ich bin wieder ruhiger. Die Tränen brennen nicht mehr so arg. Ich hab wieder manchmal eine Perspektive. Die Panik ist nicht mehr tagesfüllend. Kleine Schritte, aber das kenne ich. Das kenne ich seit über zehn Jahren. So lange gehe ich eigentlich schon Schritt für Schritt und das Tag für Tag.
Mir ist bewusst, dass ein Puzzlestein darin liegt, manche Dinge langsam zu tun. Das scheint gut zu funktionieren. Die Maus hält langsam besser aus als hektisch. Die schlauen Chinesen waren es glaube ich, die festgestellt haben, dass man langsam gehen soll, wenn man es eilig hat. Ich glaube das stimmt. Wesentlich mehr hab ich gewonnen in den letzten Monaten, als wenn ich mich alleine in eine Reha begeben hätte. Es gibt wieder Qualitätszeit, ich hab den Eindruck, dass unsere Prinzessin wieder so etwas wie Lebensqualität hat und Freude am Leben. Nein, es ist nicht jeder Tag golden und sie ist nicht durchgehend fröhlich und munter. Aber ich sehe ihr Lachen wieder häufiger, sie interagiert wieder und versucht sich mitzuteilen. Und langsam, ganz langsam habe ich das Gefühl, wir sind wieder ein gutes Team. Wie gut, dass ich auf meinen Bauch gehört habe, denn genau dieses Gefühl hab ich so dringend gebraucht.
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