Urlaub - Urlaub war früher auch mal erholsam

Diese Woche habe ich Urlaub genommen. Ich hatte noch genügend Urlaubstage und da wir diese Woche keine Betreuung tagsüber für unsere Motte haben, hatte ich keine Lust, nebenher arbeiten zu müssen und habe beschlossen, es ist Zeit für Urlaub. Nun ist die Woche schon fast um und irgendwie hab ich gar nichts gemerkt von meinen freien Tagen. Urlaub hab ich früher verbunden mit ausschlafen, ausgiebig Sport treiben, gemütlich duschen und dann mal langsam in den Tag dümpeln, vielleicht ein Buch lesen oder handarbeiten oder aber gleich in der Früh zu einem Ausflug starten. Früher war das so. Vor unserer Prinzessin. Seitdem sie da ist, ist Urlaub zu Hause eigentlich immer so, wie jetzt auch: Genau wie immer nur ohne zusätzlich zu arbeiten, allerdings auch ohne Betreuung.

Das Bild ist symptomatisch: Müde ist die Prinzessin am Vormittag, müde bin ich auch, aber eigentlich immer. Gar nicht mal im Sinne von unausgeschlafen, obwohl ich in der letzten Zeit viele Nächte hatte, in denen ich sehr schlecht geschlafen habe, weil die Gedanken kreisten. Eher im Sinne von erschöpft, mehr so geistig erschöpft, ausgelaugt und körperlich angegriffen. 

Meine Handgelenke schmerzen von der vielen Therapie. Eineinhalb Stunden stehe ich inzwischen jeden Tag da und therapiere mein Kind. Da ist zwischendurch abklopfen, Orthesen anlegen und das Kind in den Stehständer packen und die Rüttelplatte noch gar nicht eingerechnet. Es zehrt an meinen Nerven. Nicht nur die Therapie an sich, sondern vor allem die Tatsache, dass unsere Motte das zum Brüllen findet. Im Wortsinn! Auch waschen, kämmen und anziehen sind gar nicht mehr gern genommen und so verbringe ich viele Stunden meines Tages damit, verzweifelt auszublenden, dass mein Kind aus Leibeskräften brüllt, tritt und schlägt. Nein, das ist nicht besonders erholsam. Und ein Ende ist leider nicht in Sicht, denn ich habe keine Ahnung, wann wir wenigstens wieder mit regelmäßigen Therapien rechnen können.

Viele Eltern fühlen sich mit der Heimbeschulung überfordert im Moment. Verständlich in den Fällen, in denen die Lehrer es nicht geschafft haben, den Unterrichtsstoff so für ihre Schüler aufzuarbeiten, dass für alle Jahrgangsstufen selbständiges Erarbeiten auf irgendeine Art und Weise möglich ist. Viele Eltern sind gezwungen, neben dem plötzlichen Homeoffice, ihre Kinder auch noch zu beschulen. Der Haushalt läuft weiter, essen müssen alle und irgendwie wollen die Kinder nach Erledigung der Schulaufgaben auch noch beschäftigt werden. Immerhin gibt es für die meisten Kinder von den Schulen Ansätze für diverse Angebote schulischer und von anderen Initiativen auch außerschulischer Art. 

Und die Förderschüler? Die Menschen mit Behinderung, die eigentlich in einem Internat untergebracht wären? In einer Werkstatt für Behinderte? Pflegebedürftige Angehörige, deren pflegebedürftige Angehörigen eigentlich in einer Kurzzeitpflege wären? Was ist mit all denen? Hat man die vergessen? Hat man uns vergessen? Am Rande der Gesellschaft leben diese Gruppen ohnehin und in der gegenwärtigen Ausnahmesituation hat man die glaube ich einfach über den Tellerrand runterfallen lassen. 

Es gibt kein Beschäftigungsangebot und Therapeuten arbeiten ebenfalls nicht. Beides kann ich nicht ganz nachvollziehen. Gerade Physiotherapie, Logopädie oder Ergotherapie sind für manche Förderkinder dringend erforderlich. Woran liegt es, dass die Therapeuten nicht wenigstens einen Termin in der Woche in der Schule anbieten können? Man könnte doch großzügig Termine vergeben und die Eltern, die das Angebot mit ihren Kindern wahrnehmen möchten, hätten die Möglichkeit, die Kinder zu bringen. Wir waren oft genug mit unserer Tochter auf der Intensivstation, sogar schon in Quarantäne. Ich weiß also, dass Therapie auch unter schwierigen Bedingungen durchaus möglich ist. Handschuhe, Kittel und Mundschutz sind natürlich Voraussetzung für die Therapeuten, aber dann ist es durchaus möglich, zu behandeln. Könnte es vielleicht sein, dass es nicht genügend Schutzausrüstung gibt und es daran liegt?

Wundern würde es mich nicht, denn ich glaube diese ganze große Gruppe derer, die zu Hause gepflegt werden, egal in welcher Altersgruppe, ist leider auch im großen Hygienekonzept völlig übersehen worden. Ambulante Pflegedienste werden nicht mehr richtig mit Hygieneartikeln und Schutzausrüstung ausgestattet, wir pflegenden Angehörigen sind scheinbar ohnehin durchs Raster gesegelt. Seit über sechs Wochen warte ich nun auf meine Lieferung von Desinfektionsmittel. Inzwischen hab ich welches, aber die Umstände sind putzig. Müsste nicht eigentlich darauf geschaut werden, dass wir möglichst viele Menschen gut und gesund zu Hause lassen können? Müssen wir nicht die ambulante Pflege, egal ob durch Angehörige oder professionelle Stellen eher stärken in diesen Zeiten, damit niemand zusätzlich im Krankenhaus aufschlagen muss sondern zu Hause bleiben kann?

Sehr zufällig und nicht etwa offiziell haben wir erfahren, dass wir uns beim Katastrophenschutz melden dürfen. Pflegende Angehörige eines Kindes mit Pflegegrad fünf und einem Pflegedienst, der den Bestand an Handschuhen, Mundschutz und Desinfektion inzwischen wöchentlich zählt und meldet und dabei auch das einbezieht, was wir besorgen, hat uns offenbar qualifiziert, uns beim Katastrophenschutz melden zu dürfen. Warum erfährt man so etwas nur zufällig? Die Bekannte einer befreundeten Mama wusste das, weil sie zufällig an der richtigen Stelle arbeitet. So einen Kommunikationsweg finde ich schwierig. Ich hab ja Verständnis dafür, dass wir in einer Ausnahmesituation sind, in der nicht alles optimal laufen kann. Ich erwarte auch nicht, dass wir reibungslose Abläufe haben, schließlich ist das grade für alle neu und wir müssen alle erst lernen, mit dem neuen Normal umzugehen. Aber hier zeigt sich meines Erachtens ein Problem, das schon sehr lange existiert und für pflegende Angehörige schon immer zum Normal gehört. Nur wer gut vernetzt ist, hat die Chance, möglichst gut informiert zu sein, seine Rechte und Pflichten zu kennen und Möglichkeiten, Dinge zu organisieren, die auf dem normalen Wege nicht gehen.

Und so verbringe ich meinen Urlaub auch damit, weitere Dinge zu organisieren. Ich stehe artig jeden Tag so um fünf auf, entweder weil wir unser Kind selbst versorgen und die Medikamente ja rechtzeitig gegeben werden müssen und die Therapie vorher erledigt sein sollte. Oder ich nutze die Gelegenheit und mache meinen Sport, immer dann, wenn ich einen Nachtdienst im Hause hab. Das ist leider die einzige Möglichkeit, mich sportlich zu betätigen und mich damit irgendwie fit zu halten. Der Rest des Tages ist diszipliniert durchgetaktet und mal einen halben Tag gemütlich abhängen und nichts tun, in Ruhe ein Buch lesen, in der Sonne liegen, ist leider nicht mehr drin. 

Am Vormittag gibt es knapp zwei Stunden, wenn ich schnell bin, in denen ich mal einigermaßen in Ruhe meinen Haushalt erledigen kann. Wäsche waschen, zusammen legen, verräumen oder irgendetwas in der Art sind möglich oder aber ich kann schnell am Rechner was erledigen so wie jetzt. Aber wenn ich auf die Uhr schaue, ist auch schon wieder Schluss damit, die Zwischenmahlzeit ist fällig und die kann ich meinem Kind halt leider nicht in die Hand drücken, die muss ich sondieren. Danach geht es in den Stehständer bis zur Mittagsinhalation, danach Hustenassistent und Mittagessen für alle. Vielleicht ist dann ein Spaziergang drin bis zur Nachmittagsmahlzeit. Nach der ist weiter Kind fördern angesagt bis zur Abendtherapie, der Inhalation, dem Hustenassistenten, der Rüttelplatte und dem Essen für alle bevor es ans Zähne putzen, waschen, Füße wickeln und endlich ins Bett geht. Urlaub im eigentlichen Sinne ist das irgendwie nicht und ich hoffe sehr, mich fragt niemand, ob ich mich in meinem Urlaub gut erholt hab. Könnte sein, ich schmeiss vor Begeisterung ob der Frage mit den Orthesen meiner Motte. 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Nicht ganz dicht, oder?

Wenn das Sterben zum Leben gehört

Urlaub im Sternenzelt