Vom Winter und vom Heimweh

Ich hasse Winter. Und Schnee. Schnee hasse ich besonders. Und jedes Jahr im Winter hab ich Heimweh. Ganz schlimmes Heimweh. Daheim gibt es kaum Schnee. Gut, der Winter war auch da nie richtig schön, aber besser auszuhalten irgendwie. Aber das hier, das kann ich gar nicht haben.



Als Kind fand ich es natürlich schon schön, wenn der Schnee mal ausnahmsweise liegen blieb und wir zum Schlitten fahren gehen konnten. Ich bin in Würzburg geboren und aufgewachsen. In Würzburg schneit es nicht viel. Liegt wahrscheinlich an der Kessellage. Genau die hat mir dann doch ein wenig zu schaffen gemacht im Winter, als ich älter wurde. Wenn im November die ersten trüben Tage begonnen, hat man gefühlt die Sonne erst wieder im April gesehen so um Ostern rum. Bis dahin war der Winter grau in grau in Würzburg. Aber ohne Schnee.

Es ist natürlich nicht so, dass es überhaupt gar nie geschneit hätte in Würzburg. Hat es schon, aber der Würzburger an sich hatte - früher war das wenigstens so - ein intensives Bedürfnis, Gefahren zu minimieren. Dazu gehörte im Winter das Beseitigen jeder einzelnen Schneeflocke. Gut, dass die meisten vor lauter Begeisterung über drei liegen gebliebene Flocken gleich den Schneeschieber ausgepackt haben, der dann schön laut durchs ganze Viertel hallte, war ein wenig übertrieben. Aber es war schneefrei. Als Fußgänger kam man gefahrlos voran und auch Autofahrer hatten so wenig Probleme, dass die wenigsten sich Winterräder an die fahrbaren Untersätze montiert haben.

Und nun lebe ich hier. Seit über zwanzig Jahren schon, aber an den Winter gewöhne ich mich wohl nie. Am Anfang, als ich hier hergezogen bin und noch öffentliche Verkehrsmittel genutzt habe, war der Winter wegen der vielen Verspätungen doof und weil ich lernen musste, dass hier selten jemand auf die Idee kommt, Gehwege zu räumen, geschweige denn zu streuen. Das fand ich sehr befremdlich. Ok, dass ich keine ordentlichen Winterschuhe besaß und mir mit Anfang zwanzig die ersten Treter mit ordentlicher Profilsohle zulegen musste, ist jetzt kein Grund zum Jammern. War halt komisch für mich, aber irgendwie zu akzeptieren. Dass ich durch so tiefen Schnee stapfen muss, dass er mir sogar bei den Stiefeln oben reinfällt, war dann aber doch zu viel für mich. Ich glaube in der Zeit habe ich begonnen, den Winter so richtig zu hassen. Glatt, nass, ätzend, das war ab sofort Winter für mich. Der einzige Vorteil hier im Süden ist die Tatsache, dass sich ab und an die Sonne blicken lässt. Das ist aber auch schon alles.

Seit acht Jahren nun ist mein Hass auf den Winter in jedem Jahr schlimmer geworden. Zum einen verbinde ich Winter automatisch mit Viren und somit mit einer Krankheit nach der nächsten. Unsere Sondenprinzessin schnappt auch gerne alles auf, was sich im Winter irgendwo im Angebot zeigt. Sie mag auch keinen Schnee. Der ist zu nass und zu kalt. Tut weh. An- und Ausziehen im Winter ist ein Graus. Das mag sie ohnehin überhaupt gar nicht und im Winter ist es noch schlimmer als sonst. Oft bin ich schon fix und alle noch bevor ich mit ihr das Haus verlassen habe, nur weil das Anziehen so ein Drama ist.

Wir hatten durchaus Winter, in denen nicht sehr viel Schnee lag und ich hab artig jede Gelegenheit genutzt, um mit der kleinen Dame nach draußen zu gehen an die frische Luft. Vitamin D tanken. Ist ja wichtig. Kalt an sich ist jetzt nicht mein Drama. Es ist der Schnee.

In diesem Jahr ist nicht viel mit spazieren gehen. Es hat Schnee wie wir alle wissen. Sehr viel Schnee. Das bedeutet, dass wir ans Haus gefesselt sind. Spaziergänge sind nicht mehr möglich. Schnee räumen ist hier leider auch nach zwanzig Jahren noch nicht "in". Die Straßen sind zwar schön frei, aber leider ist zu viel Verkehr um die Spaziergänge komplett auf die Straße zu verlegen. Fluchtwege über die Bordsteine fallen leider flach, weil erstens nicht erkennbar ist, wo genau sich der Bordstein unter dem Schneehaufen befindet und zweitens keine Chance besteht, über so eine Schneeansammlung sicher hinüber zu kommen mit dem Buggy. Der hat nämlich inklusive Fahrgast locker ein Gewicht von 40 kg.Neulich haben wir einen Versuch gewagt an einem Sonntag. Zum Glück hatten wir es als Familienausflug geplant. War lebensgefährlich und ich war froh, dass wir zu zweit das Gefährt über Schneeberge heben konnten.

Einen Schlitten, in dem unser hypotones Kind sitzen könnte, haben wir nicht. Lohnt auch irgendwie nicht, sich Gedanken darüber zu machen, ob es ein passendes Modell geben könnte, bei den paar Tagen, an denen wir den nutzen könnten. Viel Schnee auf der Straße bedeutet ja nicht automatisch, Schlittenwetter. Oft ist der weiße Mist einfach nur schwer und matschig. Keine Chance, da mit dem Buggy durchzukommen auch nicht unbedingt einfach so mit einem Schlitten.

Wenn ich so am Schneeschieben bin und die Straße runter schaue, gibt es kaum jemanden, der es mir gleich tut. Schade. Nicht nur für uns, sondern für alle, die mit Rollstuhl und Rollator unterwegs sind. So schön die Optik sein mag, wenn alles weiß verschneit ganz friedlich vor einem liegt, in dem Moment, in dem man mit Kinderwagen das Haus verlassen möchte, ist Schluss mit Romantik. Wir schippen hier regelmäßig unseren Schnee, nicht nur, weil wir laut Satzung dazu verpflichtet sind, sondern auch, weil wir nie wissen, wann unsere Hummel die nächste Krise ausbrütet, die uns zwingt, möglichst schnell das Haus zu verlassen. Wenn wir dann erst zwanzig Minuten schaufeln müssen, bis wir die Autos frei haben, verlieren wir da einfach viel Zeit. Bedauerlicherweise ist unser Grundstück aber nicht groß genug, dass wir auf unserem frei geschippten Stück Land im Kreis spazieren gehen könnten. Das gäbe einen Drehwurm und sicher einen Anruf bei den Herren mit den weißen Jacken, die hinten gebunden werden, wenn uns jemand sehen würde.

So warten wir bis der Schnee wieder weg ist. Das kann dauern, so viel habe ich gelernt in zwanzig Jahren und ich leide vor mich hin. Ich hab Heimweh! Heimweh nach schneefrei, Heimweh nach der Möglichkeit einfach mit meinem Kind nach draußen zu gehen ohne lebensgefährliche Experimente wagen zu müssen. Eigentlich dachte ich der Klimawandel würde dafür sorgen, dass es immer weniger Schnee gibt. Pustekuchen! So bleibt mir nur auf den Frühling warten und hoffen, dass er sich bald zeigt.


Menschen, die mich gut kennen, vermeiden es inzwischen mir von der Schönheit des Winters vorzuschwärmen, weil sie wissen, dass meine schlechte Laune dann noch miserabler wird. Für alle, denen es "passiert", dass sie mir mit leuchtenden Augen erklären, wie toll doch dieses Winterwetter ist, wie idyllisch und romantisch und wundervoll, für all diejenigen sei gesagt: ich mag Euch wahrscheinlich trotzdem, aber seid bitte nicht verstört, wenn ich ausgesprochen grantig und zuweilen aggressiv reagiere. Ich hasse Winter und ich hab Heimweh, also seht es mir bitte nach. Der nächste Frühling kommt bestimmt und seitdem mein Heuschnupfen deutlich besser geworden ist, fange ich da dann an zu schwärmen. Vielleicht zum Leidwesen aller Allergiker. So hat jeder seine Zeit.

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