Mangelernährt = Sonde = Sondenkost?? Wirklich? Nicht wirklich!

Wenn die Entscheidung gefällt werden muss, dass ein Patient eine Magensonde benötigt, um weiterhin ausreichend ernährt werden zu können, ist das in vielen Fällen eine sehr schwierige Entscheidung. Üblicherweise geht dieser Entscheidung eine gewisse Mangelernährung voraus. Mit Anlegen der Sonde soll dieser Mangel natürlich behoben werden und die klassische Methode sieht vor, die Patienten mit Sondenkost zu ernähren, weil nur so eine ausgewogene Ernährung gewährleistet werden kann.
Moment. Ernsthaft? Sieht so ein Kind mit Mangelernährung aus?

Wer mich kennt und/oder den Blog hier mehr oder weniger regelmäßig verfolgt, wird wissen, dass ich mich von Anfang an geweigert hatte, unserer Prinzessin Sondenkost zu verabreichen. Es ist nicht so, dass wir es nicht mal probiert hätten, aber wirklich vertragen hat sie es nicht. Schlimme Bauchschmerzen und Verstopfung waren die Folge, schon nach wenigen Gaben. Geschmeckt hat es außerdem nicht, eher im Gegenteil. Allein der Geruch ... ich will ja nicht meckern!

Wir haben einen guten Weg gefunden, unsere Maus mit normaler Kost zu ernähren und es funktioniert sehr gut. Die Blutwerte sind in Ordnung, sie wächst und gedeiht in ihrem Rahmen und hat eine gute Gesichtsfarbe. Viele Kinder, die mit klassischer Sondenkost ernährt werden, haben das Glück nicht. Sehr häufig sind Verdauungsbeschwerden zu verzeichnen und zwar in beide Richtungen. Für die Verstopfung wird üblicherweise Movicol oder ein ähnliches Präparat verabreicht und viele Patienten müssen regelmäßig abgeführt werden. Das bleibt unserer Maus erspart. Selbst auf der Intensivstation mit Morphin versorgt, hat eine leichte Ernährungsanpassung, eine ordentliche Colonmassage und die Bearbeitung der Fußreflexzonen genügt, um die Verdauung wieder in Gang zu bringen.

Bei klassischer Sondenkost kommt es leider auch häufig vor, dass die Patienten spucken. Üblicherweise wird per Ernährungspumpe sondiert, das heißt der erste Schritt ist das Herabsetzen der Fließrate. Bringt das nicht die gewünschte Erleichterung, wird den meisten empfohlen, auf eine Dünndarmsonde umzusteigen. Das hat eine 23-Stunden Dauerernährung zur Folge. Trotzdem gibt es viele Patienten, die nach wie vor spucken, Verdauungsbeschwerden haben und nicht ordentlich gedeihen. Das, was an Kalorien mühevoll in die armen Körper gepumpt wird, verlässt ihn teilweise postwendend wieder.

Das bleibt unserer Prinzessin erspart. Dabei haben wir uns noch nie an die Kalorienempfehlungen gehalten, die uns ans Herz gelegt wurden. Unsere Madame gedeiht prächtig mit einem Bruchteil der vorgesehenen Kalorien. Ein Zeichen dafür, dass jeder Stoffwechsel anders funktioniert. Unsere Kinderärztin ist zum Glück vollkommen entspannt und geht nach Augenschein und nicht nach Kurven. Unsere Motte bewegt sich ja kaum und verbraucht dadurch auch wesentlich weniger Kalorien als typische Kinder in ihrem Alter. Andere Patienten wiederum, die beispielsweise starke Spastiken haben, verbrauchen unter Umständen sogar mehr als vorgesehen. Daher empfiehlt es sich erstens aufs Bauchgefühl zu hören und vor allem den Sondenpatienten gut zu beobachten.

Dass nicht alle Ärzte so entspannt sind, wie unsere Pädiaterin, zeigt sich immer wieder mal in Arztbriefen. Von einem "schlanken" oder gar "dystrophen" Ernährungszustand ist da in schöner Regelmäßigkeit zu lesen. Das bedeutet eigentlich mangelernährt. Trotzdem die Laborwerte passen und die Proportionen stimmen, dürfen wir uns an dieser Formulierung regelmäßig erfreuen. Vor allem die Pflegeschwestern, die unser kurzes Kind auch nackig sehen und jede Speckfalte waschen, sind immer wieder recht amüsiert darüber. Glauben Sie nicht, dass die junge Dame alles ander als dürr ist? Dann schauen Sie mal selber - wer genau hinschaut, kann das eine oder andere Speckröllchen erkennen. Ganz ohne Sondenkost, nur mit normaler Nahrung. Schon fast so schlimm wie Mama und Papa 😉



Wenn Sie also einen Sondenpatienten versorgen und jemand redet Ihnen ein, das ginge nur ordentlich mit klassischer Sondenkost, sonst wäre die Mangelernährung weiterhin programmiert, dann denken Sie an unsere Sondenprinzessin und ihre Röllchen. Geht sehr wohl anders, sogar sehr gut!

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