Das kommt mir wirklich schwedisch vor!

Wer schon mal schwanger war, kennt das sicher: Schwangerschaftsdemenz. Bevor es mich selbst getroffen hat, hab ich das für eine tüddelige Ausrede gehalten, mit der jegliche Schusseligkeit vertuscht werden sollte. Aber dann traf es mich auch und die Schwangerschaftsdemenz wurde tatsächlich von der Stilldemenz nahtlos abgelöst. Kaum zu glauben, aber ich hab es selbst erlebt: Frau verblödet! Offensichtlich kann es im Leben einer Frau - sicher auch eines Mannes, aber ich bin halt keiner, drum kann ich nur für mich sprechen - immer wieder solche Phasen geben und ich hab das Gefühl, ich bin grad in einer solchen Phase. Und warum mir das schwedisch vorkommt, erkläre ich gleich.

Angefangen hat es tatsächlich in der Schwangerschaft. Ich hatte den Eindruck, mir Dinge nicht mehr so gut merken zu können, plötzlich musste ich mir alles aufschreiben. Gut, die Schwangerschaft war nicht grad einfach, ich hatte also genügend Ausreden, mir das schön zu reden. Tatsächlich war es in der Stillzeit nicht viel besser, eher im Gegenteil. Da unsere Prinzessin ja etwas stillschwierig war und ich stillpumpen praktizieren musste, ging da reichlich viel Zeit drauf. Bis zu zehn Mahlzeiten und ich hab tapfer alle artig nachgepumpt. Irgendwann fiel mir auf, dass ich keine Ahnung mehr hatte, was eigentlich in der Welt so los ist. Es hat sich alles nur noch um die Versorgung dieses neuen, kleinen Menschleins gedreht, um medizinische Fakten, um Termine, aber an eine politische Diskussion mit intelligenten Menschen um mich herum, war irgendwie nicht mehr zu denken. Ich fühlte mich tumb. Rat war teuer, denn wann sollte ich mein Defizit auch beheben? Not macht bekanntermaßen erfinderisch und so hab ich das Problem recht kreativ gelöst. Gepumpt wurde ja im Doppelhubverfahren (die Insider wissen, was ich meine) und so hab ich meine Technik angepasst und mir die Tüllen in den Schreibtisch geklemmt, auf dem der Laptop stand. So konnte ich die Süddeutsche online lesen, während die Milch in die Flaschen floss. Keine Sorge - ich führe das nicht aus. Ich möchte ja nicht Schuld sein, wenn irgendjemand Schaden nimmt, weil er die Bilder nimmer aus dem Kopf kriegt.

Technik war also das Geheimnis. Und schon war ich wieder ein wenig mehr im Bilde und fühlte mich nicht mehr so ganz deppert. Ein Freisprecher fürs Telefon half ebenso, denn der hat ganz einfach wieder Zeit gespart, Zeit, die ich ins Zeitunglesen investieren konnte. Während ich das kurze Kind gewickelt und gefüttert habe, konnte ich bequem die Handwerker fürs Haus koordinieren oder mit einer Freundin quatschen und so den Kontakt zur Außenwelt halten.

In der Zeit des Umzugs ins Haus war ich immerhin so weit geistig gefordert, dass ich mich mit neuen Dingen befassen musste, von denen ich nicht ganz so viel Ahnung hatte. Welche Fliesen am besten wo liegen, ist schon nicht so ganz leicht. Und kaum waren knappe drei Jahre vergangen, stand die Rückkehr ins Arbeitsleben an. Neuer Aufgabenbereich und überhaupt - das mit der Demenz war wirklich kein Witz, ich hatte das Gefühl, viele Dinge ganz von vorne lernen zu müssen. Hab ich das wirklich mal alles beherrscht? Für eine ganze Weile war ich da mal geistig echt ausgelastet, aber die Routine stellt sich natürlich ein und dann war ich wieder soweit wie vorher. Ich hatte Bedenken zu verblöden. Kein geistiger Anreiz außerhalb der Arbeitszeit. Volkshochschule fällt flach, weil es nicht zu organisieren ist, irgendwelche Fernkurse - pff, naja, was denn und überhaupt kostet das alles ja Geld. Natürlich musste auch die Versorgung der Sondenprinzessin mit allen medizinischen Kenntnissen, die erforderlich sind, um das gut zu machen, gewuppt werden. War auch nicht immer ganz einfach, aber irgendwie sind wir da so reingewachsen, dass es sich nicht anfühlte, als wäre das ein riesiger, geistiger Meilenstein, der jedes Mal ins Rollen kommt.

Der nächste Zufall: Mein Blog. Ich hatte ja keine Ahnung, wie sowas funktioniert. Als ich es raus hatte, kam mein werter Gemahl auf die Idee, aus dem Blog könnte man eine App machen und obwohl ich gar nicht dran geglaubt hatte, wurde die irgendwann produziert. Auweja! Ich hatte nicht mal ein Smartphone. Diese Zeit war schon reichlich anspruchsvoll. Ich und ein Telefon zum Wischen... Bis ich den Dreh raus hatte, das hat gedauert. Inzwischen ruft mein Telefon nicht mehr ohne mein Wissen irgendwo an und ich hinterlasse auch keine kryptischen Nachrichten, das läuft recht gut. 

Irgendwie kam dann auch Instagram und Twitter und naja, da kamen dann noch einige Apps, mit denen man Termine und To-Do-Listen organisieren kann und so war ich wirklich eine Weile ausgelastet. War. Jetzt geht es schon wieder los. Irgendwie brauch ich Input, aber woher nehmen, wenn nicht stehlen? Wieder kam der Zufall daher in Form einer Sprachlern-App. Vor vielen Jahren hatte ich schon mal versucht Schwedisch zu lernen. Keine Ahnung warum, braucht kein Mensch, aber ich fand den Klang sehr melodisch und faszinierend war das allemal, weil es so ganz anders war, als die Sprachen, die ich konnte. Richtig gelernt hab ich es leider nie, der Kassettenkurs steht in der Ecke und ist irgendwie nicht sonderlich attraktiv.

Aber inzwischen bin ich ja fast topmodern. Es gibt ja auch da eine App und siehe da, es gibt tatsächlich Schwedisch. Zwar nur Schwedisch-Englisch, aber das ist ja egal. Die App ist kostenlos und sehr motivierend und so lerne ich jetzt Schwedisch. Für mich. Für mein Hirn. Und es macht mächtig gewaltigen Spaß. Ich hab nicht die Hoffnung, dass ich irgendwann mal so fließend Schwedisch spreche wie das mit dem Englischen klappt, aber egal. Wenn es mich langweilen sollte, kann ich ja ein paar andere Sprachen auffrischen. Die Sprachausgabe findet das Prinzesschen witzig und so kann ich jetzt die Zeit des langweiligen Sondierens mit schwedischen Vokabeln überbrücken. Auch in der Nacht, wenn ich mich mal wieder eine Weile wach halten muss, um die Sauerstoffsättigung zu kontrollieren, hilft es ungemein beim Augen aufhalten. 

Ich hoffe sehr, dass ich jetzt mal eine Weile nix zu nörgeln habe und mal zufrieden sein kann, mit meiner geistigen Gefordertheit. Gibt es das Wort überhaupt? Egal. Neologismen gelten als kreativ. So ist erklärt, warum mir grad vieles Schwedisch vorkommt. Jag talar svenska inte bra, aber das bissl, was ich kann, macht Spaß! In diesem Sinne: Hej då und Servus!

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