Schwarz oder weiß - muss ich mich wirklich ständig entscheiden? NEIN!

Nach zweieinhalb Jahren erfolgreichen Widerstands hat uns Anfang September Covid niedergebügelt. Massiv. Unsere Hummel hat es vermutlich noch am besten weggesteckt, wobei man das nicht so genau sagen kann, sie hat nämlich schon wieder was. Was, ist auch nicht so genau auszumachen, irgendwie Zahn, Nebenhöhlen, Husten, aber nichts richtig schlimm, nur heftig genug, dass sie mal wieder beeinträchtigt ist. Also mehr als sonst. Der Hummelpapa ist gefühlt immer noch "erkältet" und mich hat es auch erwischt. Massiv. Von Konzentrationsproblemen über ständig Schmerzen irgendwo bis hin zu kardiologischen Schwierigkeiten kann ich alles bieten und es macht mich irre. "Milder Verlauf" hatte ich mir mit drei Tage leichtem Schnupfen vorgestellt, statt dessen darf ich mich immer wieder erinnern lassen, dass milde bedeutet, dass wir nicht im Krankenhaus gelandet sind. Soll ich dafür jetzt ernsthaft dankbar sein?


Eigentlich sollte ich das. Dankbar sein. Immer. Für alles. Gerade als Mutter eines behinderten Kindes erwarten die meisten von mir, dass ich möglichst positiv denke. Dankbar sein für die kleinen Dinge, dankbar für jede Hilfe, einfach immer. Und positiv sehen soll ich alles. Es muss automatisch toll sein, dass mein Kind so ist wie es ist und ich muss alles am besten großartig finden und wie selbstverständlich akzeptieren. Schließlich hatte ich mich ja seinerzeit ganz bewusst FÜR unser Kind entschieden. Also darf ich jetzt nicht jammern.

Jammern möchte ich auch eigentlich nicht. Das wäre allerdings meine zweite Option. Ich könnte klagen. Immer. Über alles. Ich möchte das nicht. Wenn ich die ganze Zeit nur aufzähle, was alles richtig bescheiden läuft, zieht mich das ja noch mehr runter. Ich gehöre auch nicht zu den Menschen, die sich ständig bei jedem alles von der Seele reden müssen oder möchten. Ich hab meine ausgewählten Vertrauensmenschen, bei denen ich mich im Bedarfsfall auch mal richtig auskotzen kann. Das mach ich dann aber bewusst, weil ich weiß, dass ein konstruktives Feedback kommt, mit dem ich etwas anfangen kann. Aber Dauerklage oder "mal was loswerden" das ist nicht so mein Ding. Aufschreiben, ja. Das geht. Dann ist es auch weg fürs Erste.

Mit dieser Sichtweise bin ich ein Problem. Offensichtlich. Ich sollte mich entscheiden. Entweder weiß, dann ist alles gut. 


Oder schwarz, dann ist jammern und klagen mein Hauptlebensinhalt.


Beide Extreme passen nicht zu mir und so entsteht gefühlt diese Freakshow, die als Collage den Beginn dieses Beitrags "ziert". 

Bewusst hab ich mich für mein Kind entschieden. Muss ich deswegen auch dankbar für die Anfälle sein die sie plagen, dafür, dass sie so häufig Schmerzen leiden muss? Ich kann nichts dafür, ich hab es nicht zu verantworten. Ich tu alles, damit ihr Leben so angenehm wie möglich ist. Es gab Zeiten und gibt nach wie vor Momente, in denen sie zufrieden ist und in denen ich ihr Lebensqualität bescheinigen kann. Muss ich für diese immer selteneren Momente denn jedes Mal gleich dankbar sein? Kann ich sie nicht einfach zufrieden hinnehmen und mich schlicht darüber freuen ohne gleich in toxische Positivität zu stürzen?

Muss ich automatisch damit glücklich sein, wenn ich mal wieder ein Stockwerk bewältigen kann ohne wie eine Dampflock zu schnaufen? Ist das gleich ein "na also, das wird schon wieder" wert? Ich finde nein. Ich darf doch einfach mal anmerken dürfen, wenn etwas beschissen läuft, ohne gleich belehrt zu werden und ohne ermahnt zu werden und ohne bewertet zu werden. Ich empfinde wie ich empfinde, ich muss gar nix. Ich muss nichts positiv sehen, ich muss mir nichts schön reden, ich muss aber auch nicht stundenlang klagen und darüber jammern. Ich weiß schon, das braucht grad alles Geduld und das ist sicher nicht meine Stärke. Ich kann das aber tatsächlich mit der Geduld, in meinem Tempo und das darf so. Ich darf einfach sein wie ich bin. Genau wie mein Kind sein darf wie es ist. Trotzdem muss ich nicht zwanghaft das Gute in Allem sehen und ich muss nicht für jeden Mist dankbar und über jeden Pups froh sein.

Ich bin zum Glück ein Stehaufmännchen und mit genügend Resilienz ausgestattet, dass ich mich bislang immer wieder aus dem Sumpf ziehen kann. Hilfe anzunehmen fällt mir schwer, um Hilfe zu bitten noch schwerer, ich habe allerdings gelernt, dass ich es manchmal tun muss. Wenn dann keine Hilfe kommt, macht mich das wirklich fertig. Und das darf es auch. Es hat mich nämlich viel Überwindung gekostet, so viel einzugestehen, wie ich das dann getan habe. Und dann ist das Letzte, was ich brauchen kann, leichte Sprüche wie "das wird schon wieder". 

Wenn ich ständig in eine Schublade gedrängt werde, habe ich das Gefühl, dass mein Empfinden nichts zählt. Von mir wird erwartet, dass ich immer möglichst gut gelaunt möglichst allem und jedem Verständnis entgegenbringe, mitdenke, Wertschätzung zeige wo immer es geht. Wie es mir dabei geht, ist eher nebensächlich, Hauptsache ich funktioniere. Dass ich mich nicht jedem mitteilen möchte, mein Empfinden nicht mit jedem teilen möchte, das ist offenbar sehr schwer zu akzeptieren. Meistens möchte ich nicht über das sprechen, was mich bewegt, ich möchte nicht mal ehrlich meine Meinung zu manchen Themen äußern. Es könnte nämlich sein, dass mir das, was mir über die Lippen kommt, im nächsten Moment leid tun könnte, also behalte ich es lieber für mich. Auch dieses Verhalten ist für meine Umwelt schwer aushaltbar. Warum eigentlich? Wäre ich schwarz oder weiß in meinem Tun, wäre es scheinbar einfacher. Aber so bin ich nicht. Ich habe Facetten. Farbe. Ich bin nicht so oder so und ich muss es auch nicht sein. Das macht mich unbequem und anstrengend für andere. Das wiederum macht es für mich anstrengend. Zählt das nicht? Zähle ich nicht?

Eigentlich, wenn ich ganz ehrlich bin, im tiefsten Inneren meines Herzens ist mir das egal wie ich für andere bin. Wie andere für mich sind, ist anderen ja auch egal. Sind wir quitt. Ich werde weiterhin keine Sekunde bereuen, mich für mein Kind entschieden zu haben, ich werde mich weiterhin mit allen meinen Möglichkeiten dafür einsetzen, dass mein Kind ein Leben führen darf, das so viel Lebensqualität wie möglich bereit hält und ich werde mir weiterhin erlauben, etwas oder jemanden einfach nur Scheiße zu finden. Wer das bewertet ohne von mir in dem Moment gemeint oder unbewusst verletzt worden zu sein, darf seine Wertung gerne für sich behalten. Interessiert mich nicht. Ich bin nicht schwarz oder weiß, ich bin auch mal mit Farbe, vielleicht bin ich ja eine Freak-Show. Auch gut. Ich kann gut mit mir umgehen, für den Moment genügt mir das. For your info!



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