"Dann sehen wir uns in einem Jahr"

... sprach das Team im Schlaflabor und der Chefarzt nach der Sonographie bevor wir nach zwei Tagen geplantem Krankenhausaufenthalts wieder den Heimweg angetreten hatten. Was für Außenstehende jetzt total banal und lapidar klingen mag, hat mir kurz einen Schauer über den Rücken gejagt. Ein Jahr. Unsere Hummel ist bereits 11 1/2 Jahre alt. Das bedeutet, es geht selbstverständlich jeder davon aus, dass sie mindestens ein Jahr älter werden wird. Ihre Lebenserwartung lag laut Lehrbuch bei maximal drei Jahren.


Aber nicht nur die Selbstverständlichkeit mit der inzwischen das gesamte medizinische Team über große Zeiträume spricht, sondern auch die Zuversicht, die damit verbunden ist, haben mich da irgendwie berührt. Und dann war da auf dem Heimweg genug Zeit um meine Motte zu beobachten und die Gesamtsituation für mich zu beleuchten. In den letzten Monaten ging es ihr nicht schlecht. Richtig gut möchte ich ihren Zustand aber auch nicht bezeichnen. Sie hat einige Baustellen, an denen wir nun von mehreren Seiten arbeiten werden, was wieder ein paar mehr Termine bedeutet, aber wenigstens tut sich was. Aber ein entspanntes, ausgeglichenes und fröhliches Kind sieht an den meisten Tagen leider auch anders aus als unsere Hummel. Das tut meinem Mamaherz weh. Sehr weh. Ich möchte doch nichts lieber, als dass es meiner Tochter einfach gut geht. Dass dem nicht so ist, tut mir für sie so unendlich leid.

Und dann ist da dieses Dauergeräusch des Zähneknirschens und Speichelgurgelns, so dass der Speichel eine schaumige Masse ergibt. Da sind diese vielen, kleinen Anfälle, durch die wir sie begleiten müssen und an die ich mich nie gewöhnen werde und die belasten - sie und uns. Da ist das Gequietsche und die Pressatmung, weil sie nicht schluckt und zeitweise völlig unentspannt ist. Da ist das ewige Durch- und Überstrecken, das Zwicken, das Schlagen, das ständig unzufriedene Gemeckere wenn irgendetwas nicht passt, das mir nach zwei Stunden jeden Nerv raubt. Ja, mein Kind geht mir sehr oft auf die Nerven. Also nicht mein Kind an sich, sondern ihre Art, ihre Geräusche und dass ich das so offen formuliere, hinterlässt Schuldgefühle bei mir. Ich fühle mich wie eine Rabenmutter. Dabei bin ich nach über elf Jahren vermutlich einfach durch mit meinen Nerven und das ist der Grund.

Der Pflegedienst fällt immer häufiger auch für lange Strecken aus. Vier, fünf Nächte am Stück müssen wir inzwischen häufiger alleine stemmen. Tagdienste fallen auch in den Zeiten, in denen sie geplant sein sollten, zunehmend aus, so dass wir neben unserer Arbeit auch die Versorgung unserer Tochter stemmen müssen. Ich habe seit über einer Woche Urlaub und das Einzige, was ich bislang als echte Urlaubsaktivität verbuchen kann, war ein verirrter Waldspaziergang von insgesamt vier Stunden inklusive An- und Abfahrt und ein ausgedehnter Waldspaziergang, bei dem es hinterher keinen Platz im Biergarten gab. Das ist mager und hat absolut gar nichts mit Erholung zu tun. Vermutlich hätte ich allerdings für echte Ausflüge auch gar keine Energie. Wer nachts nicht durchschlafen kann und tagsüber den fehlenden Schlaf nicht adäquat nachholen kann, hängt halt nun mal durch. 

An der Stelle wird mir bewusst, dass es auch gar nicht anders funktionieren würde, als dass wir manche Termine erst in einem Jahr wieder planen. Wir sind durch. Erschöpft. Am Ende. Während in fast jedem Betrieb mindestens ein Mitarbeiter aus dem Team durchgehend anwesend sein muss, gilt das in der häuslichen Pflege nicht. Der Pflegekräftemangel ist inzwischen so eklatant, dass die Pflegekräfte Urlaub nehmen können, wie sie es brauchen, ohne Rücksicht darauf, ob in den Familien die Pflege gewährleistet ist oder nicht. Wir Eltern werden natürlich nicht gefragt. Wir pflegen ohne Urlaub, ohne Rücksicht auf unseren Gesundheitszustand und ohne Rücksicht darauf, ob wir eigentlich auch noch arbeiten müssten. 

Natürlich tun wir das eigentlich gerne, es handelt sich ja um unsere Kinder. Aber es ist schwer und echte Entlastung gibt es in jeder Hinsicht meist nur auf dem Papier. Wir selber haben niemanden hier, der uns wenigstens gelegentlich unter die Arme greifen könnte. Keine Mutter, die mal die Bügelwäsche erledigen könnte, keine Schwiegermutter, die sich der Fenster annehmen könnte, keinen Vater, der den Schriftkram erledigen könnte und keinen Schwiegervater, der sich um den verwilderten Garten kümmern könnte. Solche Hilfe müssten wir teuer einkaufen, was wir uns nicht leisten können oder versuchen zu organisieren. Nun ja. Wir finden ja nicht mal über das Entlastungsbudget jemanden, der uns im Haushalt unter die Arme greifen könnte. Da bekommt man nicht mal eine Antwort auf Anfragen per Mail.

Und so wurschteln wir weiter so gut wir können und freuen uns, dass es auch bei wirklich wichtigen Terminen manchmal genügt, wenn wir uns in einem Jahr wieder sehen können.

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